Also beginn ich mal mit meinem Herzdrücken und hoffe, dass allein das von der Seele schreiben, einiges etwas besser macht.
Zur Vorgeschichte: Ich bin Mutter eines mittlerweile 21 Jährigen Sohnes und einer 17 jährigen Tochter. Mein großer Sohn hat ADHS und autistische Züge. Er wohnt seit seinem 19. Lebensjahr in einem eigenen Haushalt, weil das Zusammenleben mit beiden Kids einfach nicht funktionierte. Zwischenzeitlich hat er einen gerichtlichen Betreuer, das Verhältnis zu uns ist aber relativ gut. Ich gebe zu, dass bei der Erziehung nicht immer alles perfekt lief - insbesondere bis zum Schulbeginn. Danach hab ich alles getan, um ihn zu dem Kind zu erziehen, dass die Lehrer, Erzieher und der Rest der Umwelt erwarteten. Die Autismus Vermutung kam erst mit 16.
Als er drei war, kam unsere Tochter zur Welt. Wir wollten alles besser machen, haben sie gefördert, ihr versucht jeden Weg zu öffnen, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Meine Mutter stellte daraufhin fest, dass wir den Sohn vernachlässigen und tat alles dafür, ihm regelmäßig mitzuteilen, dass seine Schwester bevorzugt wird. Wie dem auch sei - das ist ein extra Kapitel....
Nach altersgemäßer Entwicklung und einer unauffälligen "Mädchenkindheit", teilte uns unsere Tochter vor nunmehr zwei Jahren mit, dass sie sich in ihrem Körper nicht wohl fühle und psychologische Betreuung wünscht. Es gab regelmäßige Gespräche mit der Psychologin. Marie sorgte dafür, dass sie in der Schule nur noch als Leo angesprochen wurde, ab Dezember 2019 kamen auch wir diesem Wunsch nach. Immer wieder fiel sie mit Selbstverletzungen / Ritzen auf. Im Januar letzten Jahres wurde sie wegen akuter Suizidgefahr in die Klinik eingewiesen. Es wurden Depressionen und eine Diskrepanz der Geschlechtsidentität festgestellt. Gemeinsam mit der Klinik teilte er mit, dass eine Zukunft nur in Berlin möglich und zu Hause keine Option ist. Bei Gesprächen mit der Klinikpsychologin wurde uns mitgeteilt, dass wir für die schlechte Kindheit von Leo verantwortlich sind. Wir haben ihn genötigt, sich als Mädchen zu geben (dabei hat das niemand von ihm verlangt. Er selbst hat seine Kleidung ausgewählt). Er fühlte sich schlecht, weil er dachte, wir würden ihm die Verantwortung für Probleme in unserer Ehe geben. Wir hörten erstmals von Mobbing in der Schule und offensichtlichem Desinteresse....
Sorry, meine Wahrnehmung ist da eine andere. Egal. Wie er es gefordert hat, befindet er sich seit 1.8.2020 im betreuten Wohnen in Berlin. Dafür zahlen wir monatlich 1.200 Euro, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Zunächst hat er eine Ausbildung beim Friseur - sein Traumberuf - begonnen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten, unterstützen wir alle medizinisch notwendigen Behandlungen. Nach einem Monat erhielten wir plötzlich einen Anruf der Betreuer, dass Leo in die Notaufnahme eingewiesen wurde, weil er sich selbst verletzt hatte. Also fix 160 km nach Berlin, weil nur die Eltern ihn dort abholen dürften. Abends zurück, nächsten Morgen wieder nach Berlin, um beim Psychologentermin zu begleiten. Erstmalig kam dort die Diagnose Borderline (die mir schon länger im Kopf schwirrte) ins Gespräch. In diesem Zusammenhang teilte uns Leo mit, dass er die Ausbildung nicht weiter machen könne. Acht Stunden Arbeit sind einfach zu lang und wir hätten keine Vorstellung davon, wie anstrengend das sei. (Sorry, bei allem Verständnis für psychische Erkrankungen und Einschränkungen, aber ich bin manchmal 12 h im Dienst, mein Mann regelmäßig - allein, um die Unterbringung im betreuten Wohnen zu ermöglichen). Aber wie Leo wohl richtig festgestellt hat, das hätte man sich überlegen sollen, bevor man (selbst psychisch vorbelastet) ein Kind mit Depressionen in die Welt setzt. Jedenfalls hat er die Ausbildung geschmissen und gemeinsam mit den Betreuern wurde festgelegt, dass er sich zukünftig meldet, wenn er Druck hat (entweder bei uns, bei den Betreuern oder der Notfallsprechstunde des Vivantes), sich selbst zu verletzen. Es sollte eine Beschäftigung gesucht werden, die seinen Fähigkeiten entspricht und Rücksicht auf die Psyche des Kindes nimmt. Dann folgte ein Auf- und ab.... mal ging es besser, mal schlechter - Infos erhielt man erst, wenn man mehrfach nachfragte.
Zu Weihnachten kam Leo nach Hause und es war harmonisch. Ursprünglich von ihm gewünschte Informationen zu unserer Kindheit, um eventuell verstehen zu können, waren plötzlich nicht mehr notwendig. Alles schien zu laufen. Im Januar begleitete ich ihn zur Transsprechstunde der Charité. Ich hatte das Gefühl, das gab wieder etwas Auftrieb. Vor einer Woche - auf Nachfrage - die Info, es gehe ihm grad nicht so gut.
Montag der Anruf der Betreuerin, dass sie mit Leo in die Klinik fährt, weil dieser sich selbst verletzt hat. Dort blieb er über nacht. Er hatte seit einer Woche seine Medis nicht genommen. Erst auf mehrfache Nachfrage der Betreuerin, sprach er übers ritzen.
Gestern Abend erinnerte ich an unsere Abmachung, sich VOR erneuter Selbstverletzung zu melden... er hat schließlich Hilfe gesucht. Er kann nun mal nicht mit uns reden, weil er uns mit so vielen schlechten Erinnerungen verknüpft und die wenigen guten Erinnerung nicht reichen, um dies wieder weg zu machen. Ich sagte ihm, dass ich das gern nachvollziehen möchte, weil keine derartigen Erinnerungen habe. Darauf hin teilte er mit, dass dies ja normal sei. Wir sollen keinen Blödsinn erzählen, nur weil wir die Wahrheit nicht sehen wollen...
Heute dann folgende Nachricht: "Man muss sein Kind nicht täglich verprügeln um es zu traumatisieren, seinem Kind mit solchen Worten beizubringen an sich selbst und seinen Erinnerungen zweifeln reicht schon aus."
Er schrieb davon, dass wir ihm immer die Schuld für Streitereien untereinander gaben. Ich solle realisieren, dass ich narzisstisch bin. Und jetzt bloss nicht wieder mit dem Satz kommen - toll jetzt bin ich wieder die schlechte Mutter.
Ich kann leider nicht den Rest der Nachricht wiedergeben, weil ich mich da grad wieder reinsteigere und an mir zweifle.
Nie würde ich behaupten, dass ich eine perfekte Mutter war, aber die Vorwürfe, die Leo da macht, sind so nicht zutreffend. Aber er tut mir trotzdem weh. Ich verstehe es nicht! Ich habe bei Streits mit meinem Mann ausnahmslos immer danach mit den Kindern einzeln darüber gesprochen, habe ihnen versichert, dass sie dafür nicht verantwortlich sind. Habe jeden Weg geebnet, den sie einschlagen wollten und jetzt das....
Ich selbst bin in psychotherapeutischer Behandlung, weil ich eben ständig das Gefühl habe, nicht gut genug zu sein oder es anderen nicht recht genug zu machen. Ein großer Punkt ist auch meine Verlustangst, die mir oftmals im Weg steht. Natürlich wäre der einfachste Weg, das aktuelle Problem mit der Therapeutin zu besprechen, jedoch wurde ich positiv getestet und befinde mich in Quarantäne.
Also sitz ich hier eingesperrt zu Hause - und schreibe Euch in der Hoffnung, dass jetzt keiner sagt, siehst Du, geht schon wieder um Dich....
Ach so...
Meinen kleinen Sohn habe ich bei Whats app gerade blockiert - die Betreuerin ist darüber informiert, sie kennt auch seine komplette Nachricht. Eine Stunde vor der Nachricht hatte ich ihr im Telefonat erzählt, wie doof das für mich ist, nicht zu wissen, wie es dem Kind geht, aufgrund der Entfernung auch nicht sofort handeln zu können und die Verantwortung auf andere abschieben zu müssen. Das klingt dann doch sehr nach Rabenmutti.