Hallo,
ich habe gesehen, dass es in diesem Forum oft sehr kompetente Antworten gibt und mich deshalb entschlossen eher etwas mehr Kontext zu geben. Deshalb zuerst eine kurze Frage und dann etwas mehr Kontext für die wirklich Interessierten. Jeglicher konstruktiver Kommentar ist willkommen (auch wenn jemand vielleicht nicht den ganzen Kontext gelesen hat).
Die Frage:
Wir (die Eltern) haben verschiedene Probleme mit unserem fast 5-jährigen Jungen. Am einfachsten lassen sie sich mit 'er hört nicht' zusammenfassen. Wir sind überzeugt, dass wir strenger sein müssen. Aber wie machen wir das? Wir haben bemerkt, dass wir noch nicht mal eine sinnvolle Strafe für ihn haben, die immer passt. Dazu muss man 2 dinge sagen: 1. dass er in keinster Weise ein strategischer thinker ist, das heißt mittelbare Strafen (morgen keinen Ausflug, die Woche keine Süßigkeiten mehr, morgen wir das Rad weggenommen) werden nur belächelt. 2. er kann nun mal nicht stillsitzen. er kann das einfach nicht, also fallen die ruhige Ecke, auf die Treppe setzen, ins Zimmer gehen leider auch weg. Wir wollen ihn nicht einsperren, wir wollen ihn nicht festbinden und nicht schlagen. Was gibt es denn noch an effektiven Strafen, die man zumindest zuhause direkt anwenden kann?
Alternativen zu Strafen: was kann man den noch machen, um ihn, wenn er zu ‚aufgedreht‘ ist, wieder ‚runter zu holen‘?
Nun etwas Hintergrund/ Kontext.
'er hört nicht': Bedeutet natürlich, wenn man ihm etwas sagt, dann tut er es nicht. Es bedeutet auch, dass wenn man Nein sagt, er es dennoch tut (das deutlich größere Problem). Er ist sehr oft, sehr aufgedreht und stürmt dabei herum, ist sehr laut und macht Unsinn; wir wissen nicht, wie wir das stoppen können. Wir haben was die Sprache angeht schon vieles versucht (stiller befehlston, lauter befehlston, „papa haette gerne“, „mir würde es gefallen, wenn du“, lieb bitten, etc.), hat aber nichts geholfen – da scheint nicht die Lösung zu liegen. Er bringt sich dadurch selbst in Gefahr (Unfall) und beschädigt viel. Unser Nervenkostüm und Familienzusammenhalt leidet darunter sehr. Es bereitet ihm sichtlich Freude, andere zu ärgern.
strategischer thinker: das bedeutet, dass es ihm egal ist, was in Zukunft ist. Für ihn zählt nur das jetzt und hier. Es ist fast unmöglich mit ihm eine Vereinbarung zu treffen, bei der seine Leistung nicht als erstes ausgeführt werden muss. Wenn er zuerst den Nutzen und später die Pflicht hat, wird man später genauso gut dran sein, wie ohne die Vereinbarung. Wir finden das sehr schade und wir würden mit ihn gerne an diesem Skill arbeiten, wenn wir wüssten wie. Man kann ihn natürlich mit einer kurzfristigen Vereinbarung, bei der zuerst die Pflicht und dann der Nutzen kommt, locken (oder erpressen?). Wenn er etwas sehr gerne machen will, ist er sofort bereit alles dazu Notwendige zu tun. Eine solche Situation lässt sich aber nicht immer auf Anhieb erzeugen.
Stillsitzen: kann er leider nicht. Seitdem er nichtmehr durch seinen Stuhl festgehalten wird, kann ich mich an kein Essen erinnern, bei dem er nicht rumgerannt ist. Und es geht hier nicht um das noch sitzen bleiben, wenn er aufgegessen hat, sondern um das Sitzenbleiben bis er aufgegessen hat. Er ist im Allgemeinen sehr hibbelig. Er kann sich einer Sache nur dann annehmen, wenn er dazu eine starke Motivation hat. Wenn es über die Disziplinschiene laufen muss, dann bleibt er nicht lange dabei. Bei einer Strafe, wie der ‚stillen Ecke‘ müsste man sich daneben setzen und ihn physisch daran hintern, wegzulaufen. Er würde daraus ein Katz und Maus spiel machen.
Was mit Sicherheit nicht funktioniert und die ganze Sache nur verschlimmert ist ihn zu ignorieren. Er hat Verhaltensweisen entwickelt, die es unmöglich machen ihn zu ignorieren. Er beschädigt etwas, bringt sich in höchste Unfallgefahr oder verwüstet ein Zimmer (so viel zur ‚ab in dein Zimmer‘ Strafe). Er kann sich manchmal mit sich selbst beschäftigen, aber wir haben das Gefühl, dass das immer weniger wird.
Das hängt bestimmt auch mit seiner Screentime zusammen. YouTube oder Netflix ist die einzige immer verfügbare Möglichkeit, ihn ruhig an einem Platz zu halten. Er hat bis zu 1h Screentime pro Tag und zeigt deutliches Suchtverhalten (er will es schon beim Aufstehen, wird aggressiv wenn wir es ihm unerwartet wegnehmen, nimmt es sich auch ohne unsere Erlaubnis, wird es nicht von sich aus beenden). Ich weiß nicht, ob das Wort Sucht hier übertrieben ist; ich glaube, dass viele Kinder in dem Alter, die Zugang zu den Medien haben, auch eine starke Präferenz zu deren Nutzung zeigen; da wir das Problem nicht kleinreden wollen benutzen wir den Suchtbegriff. Wir sehen das und wollen es gerne reduzieren oder abschaffen, es fehlen uns aber Alternativen. Ihn vor den Screen zu setzten ist mit Sicherheit eine der schlechtesten Lösungen für unser Problem. Aber es ist oft der letzte Ausweg. Wir befürchten, dass er clever genug ist, sich in höchste Unfallgefahr zu begeben, Dinge zu beschädigen, zu verwüsten und völlig aufzudrehen mit dem Ziel, Screentime to erhalten. Dazu zu sagen ist noch, dass auch mehrtägige Abstinenz oder die Tatsache, dass es keine Möglichkeit für Screentime gibt, das Problem nicht lösen. Wir verstehen aber, dass die Screentime Sucht Teil des Problems ist. Falls jemand hierzu interessante Links hat, gerne posten.
Er nimmt Routinen nur ganz schlecht an und ‚spiegelt‘ uns kaum. Letzteres haben wir bei unserer Tochter bemerkt, die uns gerne Dinge nachmacht: Tisch abputzen, rasieren, mit Hautcreme eincremen … lauter Dinge die sie plötzlich auch machen wollte … er hatte das NIE. Er rennt mit Socken auf die Straße und mit matschigen Gummistiefel durch das Haus. Er würde im Pyjama in die Schule und ohne Schuhe Roller fahren. Händewaschen, anziehen, essen, sogar das schmutzige Tshirt am Abend ausziehen: jedes Mal ein Kampf! Kein Kampf ist seltsamer weise das Zähneputzen (sofern er dabei rumlaufen darf), Duschen (nur manchmal) und die Toilette. Er macht halt was er will, und was er nicht will macht er leider nicht?
Das Ganze wird schlimmer, je müder er ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir das Problem nur am Nachmittag haben, es wird dann nur schlimmer. Schlafen würde helfen, ist aber nicht immer möglich und gehört zu den Dingen, zu denen man Ihn zwingen muss.
Körperliche Erschöpfung verbessert das Problem. Andersrum wird es schlimmer, wenn er nicht genug Bewegung hat. Wir haben das erkannt, dass wenn wir ihm keinen ‚Auslauf‘ geben, er schwieriger wird. Wir versuchen deshalb ihn bevorzugt morgens durch eine Aktivität schön körperlich zu ermüden. Danach ist im idealen Fall auch der Mittagsschlaf möglich. Das geht natürlich wiederum nicht immer, verbessert das Problem zwar, löst es aber nicht.
Wegen dem Problem, dass er nicht hört, geht alles langsamer, als es sollte (morgens: essen, anziehen, zur Vorschule). Und wenn wir wirklichen Zeitdruck haben, haben wir schon verloren. Wir wissen das und vermeiden den Zeitdruck so gut wir können (Frühaufsteher ist er zum Glück/ leider :o). Aber manchmal passiert es halt und dann wird es schrecklich, wenn der Termin wirklich wichtig ist.
Er verspürt auch keine Motivation seinen Teller leer zu machen. Da er eher schlank ist, wollen wir das Essen eigentlich nicht zu dem Punkt verknappen, an dem er immer hungrig ist. Er scheint wenig Essen zu benötigen. Er würde auch ohne Frühstück in die Vorschule gehen. Sehr selten (vielleicht 2 oder 3 mal in seinem Leben) hat er mich Abends mal gefragt, ob er noch was Essen kann … und das war wahrscheinlich eher zum Schlafenhinauszoegern als aus Hunger.
Er hat eine jüngere Schwester, die etwa halb so alt ist. Natürlich spielt Eifersucht eine Rolle, aber wie wir dieses Wissen zu unserem Vorteil nutzen können, weiß ich nicht. Die beiden zu trennen (Papa geht mit Sohn, Mama bleibt bei der Tochter) hilft, ist aber zeitintensiv, nicht immer möglich und auch langfristig keine Lösung für unsere Familie. Eventuell könnten uns Praktiken zum Eifersuchtsabbau helfen, hat jemand links?
Er hat eine kleine Hoerschwäche, hat aber keine Probleme beim Sprechen entwickelt und er trägt sein Hörgerät meistens. Er hört und versteht uns auf jeden Fall.
Komisch ist, dass sich seine Probleme in der Vorschule nicht zeigen. Die Lehrer sind 100% vollauf zufrieden, ich sehe ihn beim Reingehen immer die Hände waschen und er geht dort auch gerne hin. Bei der Nachmittagsbetreuung sieht es schon etwas gemischter aus. Dort ist er manchmal auch schon schwierig (Müdigkeit), es kommt zu Verletzungen. Am schlimmsten ist das Problem jetzt, am Ende der Ferien wo er lange zu Hause bei uns und den Großeltern war. Dass ihm hier die Routine und der Kontakt zu anderen Kindern fehlt, ist uns klar. Da es vorwiegend Mama-Aktivitäten gab (Papa musste arbeiten, Mama hatte noch Elternzeit übrig), kam vielleicht die Bewegung zu kurz. Aber auch in dieser Situation muss ein Auskommen mit ihm möglich sein. Beispielsweise ein Restaurant Besuch ist mit ihm kaum möglich. Wir könnten soviel mehr mit ihm machen und ihn soviel besser fördern wenn : er_besser_hoeren_wuerde.
Er ist sowohl mathematisch wie auch sprachlich sehr begabt (sorry, das musste einfach raus :o). Wir befürchten nur, dass er wegen seiner strategischen Disziplinschwaeche sein Potential nie erreichen wird.
Und, um zurück auf die Eingangsfrage zu kommen, hoffen wir, dass wir mit einer passenden Strafe seine Disziplin verbessern können. So dass er zumindest öfter/ wenn es wirklich wichtig ist, auf uns hört und wir ihn aus dem aufgedrehten Zustand durch Strafandrohung raus bekommen.
Danke für Euer Interesse und jegliche Hilfe.
Liebe Gruesse
Der Papa