Falsche Freunde

  • Hallo,


    bislang war unser Sohn ein ganz vernünftiges Kind bzw. Jugendlicher. Es gab zwar immer mal ein paar Probleme sobald er in die Pupertät gekommen ist, aber es war nie so, dass man das nicht irgendwie hätte regeln können. Er besucht das Gymnasium, gibt sich einermassen Mühe, ist zwar kein Superschüler, aber auch nicht so, dass man sich Sorgen machen müsste. Er spielt Tennis und in einer Schulband, war auch sonst immer in der Schule engagiert, im Schülerrat und in der Schülerzeitung. Ist also ganz gut ausgelastet. Dachten wir zumindest.


    Jetzt ist er 16 und vor einem halben Jahr fing es an, dass er sich plötzlich zu verändern begann. Er lässt die Schule schleifen, geht nicht mehr zum Sport und vor kurzem haben wir erfahren, dass er auch nicht mehr bei den Schulaktivitäten mitmacht. Das Ganze liegt wohl an seinen neuen Freunden, die er seit dieser Zeit hat. Uns haben die gleich nicht gefallen, aber man kann ja den Kindern nicht vorschreiben, mit wem sie befreundet zu sein haben. Und wenn man da mit Vorurteilen rangeht, erreicht man gleich gar nichts. Wir haben versucht, uns für sie zu interessieren, damit wir wenigstens ein bisschen Kontrolle haben. Aber er hat von Anfang nicht viel über sie gesagt und hat uns immer mehr aus allem ausgeschlossen, was er in seiner Freizeit so macht. Wir haben versucht, ihn danach zu fragen, mit ihm zu reden, haben gesagt, dass uns aufgefallen ist, dass er sich negativ verändert hat, aber er wird dann nur aggressiv.


    Wir können das auch nicht einfach so laufen lassen und sagen, dass er sich halt ausprobiert, denn er kommt oft betrunken nach Hause, seine Kleidung riecht nach Marihuana, er wird sitzen bleiben, wenn er nicht bald was tut, vielleicht sogar die Schule verlassen müssen. Gestern Abend wurde er von der Polizei nach Hause gebracht. Er und seine neuen Freunde haben in einem Innenhof randaliert.


    Wir denken, er müsste dringend von diesen Leuten weg, denn vielleicht wird das noch schlimmer. Aber natürlich möglichst so, dass er das auch einsieht und wir nicht wie seine Feinde dastehen.
    Wie macht man das am besten?

  • Hallo Helena,


    keine leichte Situation, die Sie da schildern, weder für Sie noch für Ihren Sohn. Ich kann die Sorgen, die Sie sich machen, sehr gut nachvollziehen. Dennoch gibt es, glaube ich, leider nicht die einfache Lösung, das Patentrezept für solche Situationen.


    Sie schreiben, dass er sich verändert hat, seit er die neuen "falschen" Freunde hat.


    Uns haben die gleich nicht gefallen, aber man kann ja den Kindern nicht vorschreiben, mit wem sie befreundet zu sein haben. Und wenn man da mit Vorurteilen rangeht, erreicht man gleich gar nichts. Wir haben versucht, uns für sie zu interessieren, damit wir wenigstens ein bisschen Kontrolle haben.


    Ich finde es gut, dass Sie versucht haben, Ihrem Sohn Interesse an den neuen Freunden zu signalisieren. Wenn Sie versuchen würden, Ihrem Sohn die Freunde oder auch seine Freizeitgestaltung vorzuschreiben, werden Sie damit nichts erreichen können. In der Regel führt das dann eher dazu, dass die Kontakte heimlich stattfinden und Sie, wie Sie ja auch schreiben, die Kontrolle oder den Einblick in das, was Ihr Sohn tut, verlieren.


    Wir haben versucht, ihn danach zu fragen, mit ihm zu reden, haben gesagt, dass uns aufgefallen ist, dass er sich negativ verändert hat, aber er wird dann nur aggressiv.


    Wenn ein Jugendlicher, der auf der Suche nach sich selbst, seiner eigenen Identität ist, von seinen Eltern gesagt bekommt, er hätte sich negativ verändert, ist eine aggressive Reaktion nicht ungewöhnlich. Wer hört schon gerne, dass er sich negativ verändert. Da reagieren ja auch viele Erwachsene durchaus aggressiv. Vielleicht versuchen Sie das Gespräch einmal aus einer anderen Richtung. Fragen Sie Ihn, wie er sich im Moment fühlt, ob er seine alten Freunde aus der Schulband und vom Tennis nicht vermisst, was an seinem neuen "Leben" besser ist als an dem alten, warum er die neuen Freunde mag, was an denen so cool ist,... ohne dass Sie gleich eine Wertung abgeben. So können Sie vielleicht raushören, was ihn im Moment beschäftigt und was in ihm vorgeht und ob es einen Auslöser für die Veränderung gegeben hat (z.B. Stress in der Schule, beim Sport, bei seinen Aktivitäten)


    Wenn Sie ihn kritisieren, dann nur bestimmte Verhaltensweisen und nicht seine Person. Ihm mitzuteilen, dass Sie es nicht in Ordnung finden, dass er im Hinterhof randaliert, ist durchaus angemessen, denn er sollte wissen, dass Sie ein solches Verhalten nicht einfach tolerieren.


    Wir denken, er müsste dringend von diesen Leuten weg, denn vielleicht wird das noch schlimmer. Aber natürlich möglichst so, dass er das auch einsieht und wir nicht wie seine Feinde dastehen.


    Ich stimme Ihnen zu, dass Ihr Sohn selbst einsehen muss, dass sein momentaner Weg kein guter ist und dass es wichtig ist, dass Sie als Eltern nicht zu seinen "Feinden" werden.


    Sie haben ihm den vergangenen Jahren sehr viel mit auf den Weg gegeben. Das ist nicht verloren, sondern nur im Moment nicht aktiv, nicht sichtbar. Versuchen Sie, Ihrem Sohn zu vertrauen, dass er erkennt, dass er sich momentan auf keinem guten Weg befindet und sein Sie dann für ihn da. Er braucht das Gefühl, dass Sie ihn als Person (nicht sein aktuelles Verhalten !!) bedingungslos akzeptieren, damit er sich an Sie wenden kann, wenn er in seiner aktuellen Clique Schwierigkeiten hat.


    Ich wünsche Ihnen Geduld, Vertrauen und Hoffnung


    Anne

  • Danke für die Antwort.


    Allerdings fürchte ich, dass wir die Kontrolle längst verloren haben, wenn er so was macht und uns auch vollkommen ausschließt.
    Und nein, wir haben nicht gesagt "du hast dich negativ verändert". Das habe ich falsch ausgedrückt. Wir haben schon ganz konkrete Punkte angesprochen, die uns nicht gefallen bzw. Sorgen machen.
    Haben auch nicht gesagt "wir erwarten, dass du diese Klassenstufe schaffst", sondern Sachen wie "wir machen uns Sorgen, dass du später keinen guten Abschluss bekommst".


    Kann man sich vielleicht ganz konkret an jemanden vor Ort wenden? An die Polizei oder an Beratungsstellen? Mein Mann ist dagegen, aber ich glaube nicht, dass es peinlich ist, jemanden um Rat zu fragen. Ich glaube nicht, dass wir bisher allzu viel falsch gemacht haben und wenn es jetzt aus dem Ruder läuft, sollte man wohl besser was tun, ehe es noch schlimmer wird, zumal wir ja gar nicht mehr selbst mit ihm reden können.
    Die Schule ist leider keine große Hilfe. Die sind ziemlich elitär da, sortieren gnadenlos aus, was ihnen nicht in den Kram passt und auch der Betreuungslehrer ist nicht gerade ein Knaller. Aber vielleicht könnte ja trotzdem jemand Außenstehendes helfen, damit wir wenigstens wieder mit ihm reden können.

  • Hallo Helena,


    Kann man sich vielleicht ganz konkret an jemanden vor Ort wenden? An die Polizei oder an Beratungsstellen? Mein Mann ist dagegen, aber ich glaube nicht, dass es peinlich ist, jemanden um Rat zu fragen. Ich glaube nicht, dass wir bisher allzu viel falsch gemacht haben und wenn es jetzt aus dem Ruder läuft, sollte man wohl besser was tun, ehe es noch schlimmer wird, zumal wir ja gar nicht mehr selbst mit ihm reden können.
    Die Schule ist leider keine große Hilfe. Die sind ziemlich elitär da, sortieren gnadenlos aus, was ihnen nicht in den Kram passt und auch der Betreuungslehrer ist nicht gerade ein Knaller. Aber vielleicht könnte ja trotzdem jemand Außenstehendes helfen, damit wir wenigstens wieder mit ihm reden können.

    Es ist immer eine gute Idee, sich Hilfe zu holen und jemanden um Rat zu fragen, wenn man selbst nicht weiter weiß. Ich finde, dass es eher ein Zeichen von Stärke als ein Zeichen von Schwäche ist, sich einzugestehen, dass man zur Zeit hilflos ist und deshalb Hilfe annimmt.


    Ich stimme Ihnen auch zu, dass es gut ist, möglichst frühzeitig etwas zu unternehmen.


    Als mögliche Ansprechpartner fallen mir vor allem Erziehungsberatungsstellen, Drogenberatungsstellen oder das Jugendamt ein. Manchmal bieten freie Jugendhilfeträger auch eine offene Beratung für Eltern an. Informationen, welche Beratungsstellen es bei Ihnen vor Ort gibt, können Sie beim Jugendamt erfragen.


    Viel Erfolg wünscht


    Anne

  • Hallo,


    ich habe mich mal ein bisschen umgetan und war erstaunt, wie viele Vorurteile man doch so hat und wie anders die Wirklichkeit aussehen kann.
    Zunächst habe ich mit der Polizei gesprochen. Die waren überraschend nett, locker und aufgeschlossen. Man hat mir gesagt, dass die Jungs, mit denen unser Sohn jetzt so "abhängt" durchaus auffällig und gefährlich sind (ohne Einzelheiten zu nennen natürlich). Unsere Sorge und unser Eindruck ist also keineswegs falsch. Ich fand das ganz wichtig, weil es ja immer etwas komisch ist, wenn man mit "ich habe das Gefühl, dass ..." ankommt. Konkret sagen zu können "ich weiß, dass die kriminell sind" hat schon ein anderes Gewicht.


    Man hat mir dort auch die Adresse einer Beratungsstelle gegeben, die sich ganz speziell mit solchen Fällen auseinander setzt. Ehrlich gesagt habe ich mir Sozialpädagogen immer etwas luschig vorgestellt. Aber der Berater dort hat Ausmaße eines Rugbyspielers. *lacht*
    Das hat sogar meinen Mann überzeugt, sodass wir jetzt gemeinsam mit diesem Sozialarbeiter einen Versuch unternehmen werden, unserem Sohn klarzumachen, was er da eigentlich macht.


    Also danke für's Mut machen. :)

  • Hallo Helena,


    vielen Dank für Ihre Rückmeldung.


    Es freut mich, dass Sie eine gute und für Sie und Ihren Mann passende Beratungsstelle gefunden haben. Schön finde ich auch, dass Sie beschreiben, dass Ihre Vorurteile - die ja viele Menschen haben - sich nicht bestätigt haben. Das macht vielleicht auch anderen Eltern, die das lesen, Mut, diesen Schritt zu gehen :thumbup:


    Ich wünsche Ihnen, viel Kraft und Erfolg für den begonnenen Weg.


    Wenn Sie mögen, berichten Sie gerne, wie die weiteren Entwicklungen mit Ihrem Sohn verlaufen.


    Anne

  • Liebe Helena,


    ich freue mich auch sehr, dass Sie sich mit Ihrer Geschichte an dieses Forum wenden und bin beeindruckt, wie konstruktiv und auch, mit wie viel Einfühlungsvermögen Sie mit der schwierigen Situation umgehen.
    Ich finde es großartig, dass Sie sich nicht zum "Feind" Ihres Sohnes machen wollen, dass Sie sogar Interesse an seinen neuen Freunden zeigen.


    Es ist sehr schwierig, was da geschieht, vor allem, weil Ihr Sohn in einem Alter ist, in dem er sich bewusst und gewollt von Ihnen als Eltern abgrenzen will, seine eigene Identität sucht und auch seine Definition von "Männlichkeit".
    Ich denke auch, wie meine Kollegin Anne, dass es eine gute Entscheidung war, sich Unterstützung zu holen. Dies ist in der Tat ein Zeichen wahrer Größe und Stärke und hat überhaupt nichts mit Schwäche oder Unzulänglichkeiten zu tun.


    Die große Herausforderung wird sein, Ihrem Sohn begreiflich zu machen, dass es einerseits überaus verständlich ist, sich abzugrenzen und seinen eigenen Weg zu gehen, andererseits jedoch ihn dazu zu bringen, die Art und Weise, wie er das tut, zu hinterfragen.
    Sie schreiben, er war "vernünftig" und spielte Tennis, in einer Schülerband und war an der Schule engagiert. Das sind Aktivitäten, die wir als Erwachsene löblich oer sogar vorbildlich finden. Für Jungen in seinem Alter dagegen ist das jedoch leider - nicht für alle, aber für viele - eher Strebertum, Spießertum und Langweilertum.
    Nun hat er "starke" Jungs gefunden, eine Clique, die offen rebelliert, die anecken will, die gnadenlos Grenzen testet und überschreitet. Das ist Abenteuer, das ist Coolness und eine Form von Freiheit!
    Dass er sich damit selbst schadet, zumindest längerfristig, sehen wir als Erwachsene, aber er, der mittendrin steckt und es sehr zu genießen scheint, der "bad boy" zu sein, momentan eben nicht. Er steckt mittendrin und fühlt sich im Kreis dieser coolen Gang sicher. Er erhält Anerkennung, wenn er mitzieht. Er ist einer von Ihnen und dies vermittelt ihm Stärke und damit eine neue Art von Selbstwertgefühl.
    Deshalb reagiert er dann auch aggressiv, wenn man seine neuen "Freunde" angreift, denn er bekommt schließlich was von dieser Gruppe und das nicht zu knapp: den Kick, ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, Stärke, Mut, er hat Spaß, er lebt sich aus - und das wichtigste: er bekommt Anerkennung!
    Wie gesagt, es steht außer Frage, dass dies ein sehr fragwürdiger Weg ist.
    Wichtig erscheint mir allerdings, sich die Motive, die Motivation, warum er das tut, bewusst zu machen. Nur so wird klar, warum ihm dieses neue Umfeld so wichtig ist.


    Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gelingt, ihm die Augen zu öffnen und gemeinsam mit Ihrem Sohn ein Ventil, einen Weg zu finden, wie er sein Selbstwertgefühl, seinen Hunger nach Anerkennung und seine Abenteuerlust ausleben kann, ohne sich selbst dabei zu schaden, sei es durch ein anderes Hobby, das "wilder" und außergewöhnlicher ist als Tennis, sei es durch eine Band außerhalb der Schule, die wirklich "rockt", wie auch immer....


    Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute!

  • Die große Herausforderung wird sein, Ihrem Sohn begreiflich zu machen, dass es einerseits überaus verständlich ist, sich abzugrenzen und seinen eigenen Weg zu gehen, andererseits jedoch ihn dazu zu bringen, die Art und Weise, wie er das tut, zu hinterfragen.
    Sie schreiben, er war "vernünftig" und spielte Tennis, in einer Schülerband und war an der Schule engagiert. Das sind Aktivitäten, die wir als Erwachsene löblich oer sogar vorbildlich finden. Für Jungen in seinem Alter dagegen ist das jedoch leider - nicht für alle, aber für viele - eher Strebertum, Spießertum und Langweilertum.
    Nun hat er "starke" Jungs gefunden, eine Clique, die offen rebelliert, die anecken will, die gnadenlos Grenzen testet und überschreitet. Das ist Abenteuer, das ist Coolness und eine Form von Freiheit!
    Dass er sich damit selbst schadet, zumindest längerfristig, sehen wir als Erwachsene, aber er, der mittendrin steckt und es sehr zu genießen scheint, der "bad boy" zu sein, momentan eben nicht. Er steckt mittendrin und fühlt sich im Kreis dieser coolen Gang sicher. Er erhält Anerkennung, wenn er mitzieht. Er ist einer von Ihnen und dies vermittelt ihm Stärke und damit eine neue Art von Selbstwertgefühl.
    Deshalb reagiert er dann auch aggressiv, wenn man seine neuen "Freunde" angreift, denn er bekommt schließlich was von dieser Gruppe und das nicht zu knapp: den Kick, ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, Stärke, Mut, er hat Spaß, er lebt sich aus - und das wichtigste: er bekommt Anerkennung!

    So, wie Sie das schreiben, klingt das ein bisschen so, als hätten wir ihm seine Hobbys ausgesucht und aufgeschwatzt, weil WIR wollen, dass er was "Vernünftiges" macht. ;) Ich weiß, dass Sie das damit nicht sagen wollten, aber dennoch:
    Das haben wir nicht. Er hat das schon selbst gewählt. Wenn ihm Tennis zu langweilig geworden wäre und er lieber Tiefseetauchen lernen wollte (mal ganz überspitzt gesagt) oder die Band ihm zu langweilig geworden wäre und er sich einer Metalband angeschlossen hätte - kein Problem!


    Die Punkte, die uns "stören", sind aber: Kiffen, Saufen und straffällig werden. Und seine neuen "Freunde" sind auch keine coole Metalband. Das sind Jungs, die nichts mit sich anzufangen wissen, die einfach rumhängen und Ärger machen, die keine Ziele haben.
    Und was heißt "uns dafür interessieren"? ;) Wir haben nur nicht von Anfang an gesagt: "Was sind das denn für furchtbare Typen? Wir wollen nicht, dass du mit denen befreundet bist." Denn man weiß ja noch von sich selbst: Was verboten wird, wird verteidigt und erst recht gemacht.


    Ich denke inzwischen, dass wir viel zu wenig verboten haben. Unser Sohn war immer so aufgeschlossen für alles. Da musste man nichts "in die richtige Richtung schubsen" oder Vorschläge machen. Alles, was er sich ausgesucht hat, war immer okay, sodass wir ziemlich viel haben durchgehen lassen. Es kann sein, dass er jetzt ausprobiert, wie weit er damit gehen kann. Und prompt sind wir damit überfordert. Denn er hat uns nie gefordert.
    Er war früh selbstständig und eben vernünftig, sodass wir ihn sehr viel allein haben machen lassen, wenn er das wollte. Aber es bewegte sich eben immer in einem bestimmten Rahmen, beziehungsweise er machte das von sich aus. Er war nie so, dass man etwas hätte verbieten oder ganz bewusst eine Grenze hätte setzen müssen. Er hatte letztlich immer die Möglichkeit, über die Stränge zu schlagen, weil er eben recht frei agieren konnte (er wollte z.B. gern verschiedene Jugendfahrten machen, die wir ihn auch haben machen lassen, klar, da gibt's eine Aufsicht, aber Jugendliche finden an sich immer einen Weg, um sich abzusetzen und Blödsinn zu machen) aber offenbar hat er das nie.


    Vielleicht hat er sich zu stark selbst reguliert und versucht, jetzt irgendwas nachzuholen. Obwohl mir das komisch vorkommt. Denn wie gesagt: Wir haben ihn nie daran gehindert, bestimmte Erfahrungen zu machen. Wir haben auch nicht darauf bestanden, dass er bestimmte Wege beschreitet. Wir sind in der glücklichen Lage, ihm das eine oder andere ermöglichen zu können, sodass er recht frei in seiner Wahl ist. Und so war eben ER es, der unbedingt aufs Gymnasium wollte (und zwar auf genau das, während wir lieber das etwas modernere gesehen hätten), ER wollte ins Wissenschaftsjugendcamp usw.


    Bei dem ersten Gespräch mit dem Sozialarbeiter am Wochenende ging das auch eher in Richtung eines bestimmten Mädchens. Die findet Typen, die Tennis spielen und in einer Schulband sind, wohl uncool.
    So richtig weiter sind wir noch nicht, aber ich denke, dass er anfängt nachzudenken.

  • Hallo Helena,


    ja, die Liebe...!!!!


    Bei dem ersten Gespräch mit dem Sozialarbeiter am Wochenende ging das auch eher in Richtung eines bestimmten Mädchens. Die findet Typen, die Tennis spielen und in einer Schulband sind, wohl uncool.
    So richtig weiter sind wir noch nicht, aber ich denke, dass er anfängt nachzudenken.


    Liebe (oder eher Verliebtheit?) ist eine große Antriebskraft, besonders für Pubertierende! Da sind Erwachsene und Kumpels und Schule und eigentlich überhaupt alles dann natürlich erst mal ganz unwichtig!
    Da wird die eigene Persönlichkeit dann auch mal ganz schnell umgekrempelt, wenn die Auserwählte auf einen anderen Typ "Mann" steht.


    Sie schreiben, dass Sie das Gefühl haben, dass Ihr Sohn anfängt nachzudenken! Ich finde, damit sind Sie schon ein ganz großes Stück weiter. Nachdenken ist der erste Schritt, Einsichten gewinnen der Zweite, Einsicht in Handlung umsetzen der Dritte. Und eigentlich würde ich sogar noch weiter gehen wollen und sagen: der erste Schritt war schon, dass Ihr Sohn sich auf das Gespräch mit dem Sozialarbeiter eingelassen hat, denn aus meiner Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen ist das absolut keine Selbstverständlichkeit!!!


    Ich habe aus Ihrer Schilderung Ihres Sohnes herausgelesen (korrigieren Sie mich bitte, wenn ich etwas falsch interpretiert haben sollte!) dass Ihr Sohn einen sehr starken Charakter hat, sehr eigenständig und selbstbewusst ist und immer gewusst hat, was er will und was er nicht möchte. Das sind grundsätzlich sehr positive Charaktereigenschaften, die es ihm im Moment auch ermöglichen, mit solch einer Energie und Entschlossenheit den "falschen" Weg zu gehen. Und gerade das macht es für Sie als Eltern natürlich schwierig, ihn auf seinem Weg zu bremsen bzw. die Richtung zu korrigieren.


    Ich wünsche Ihnen, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Mann und dem Sozialarbeiter genauso viel Power aufbringen können, wie Ihr Sohn im Moment in destruktiver Energie aufbringt.



    Anne

  • Ich habe aus Ihrer Schilderung Ihres Sohnes herausgelesen (korrigieren Sie mich bitte, wenn ich etwas falsch interpretiert haben sollte!) dass Ihr Sohn einen sehr starken Charakter hat, sehr eigenständig und selbstbewusst ist und immer gewusst hat, was er will und was er nicht möchte. Das sind grundsätzlich sehr positive Charaktereigenschaften, die es ihm im Moment auch ermöglichen, mit solch einer Energie und Entschlossenheit den "falschen" Weg zu gehen. Und gerade das macht es für Sie als Eltern natürlich schwierig, ihn auf seinem Weg zu bremsen bzw. die Richtung zu korrigieren.

    Ja, das beschreibt ihn ganz gut, und wir wollten das auch immer so. Schließlich kann ein Mensch nur dann glücklich werden, wenn er etwas macht, hinter dem er steht. Wenn man jemandem etwas aufzwingt, ist er alles mögliche, aber nicht unbedingt glücklich.


    Es ist inzwischen wirklich klar, dass es um dieses Mädchen geht. Das erleichtert uns ein bisschen, weil wir befürchtet haben, er würde uns alles mögliche vorwerfen. Manche Pubertierende machen das ja. Und dann werden Fehler zu unüberbrückbaren Gräben. Und ich denke, niemand ist fehlerfrei, schon gar nicht in der Erziehung.
    Aber der einzige "Vorwurf", den er uns gemacht hat, ist, dass wir oft zu wenig einmischen und ihm nichts verbieten. Das hat uns schon ein bisschen erstaunt, denn gewisse Grenzen gab es immer.


    Das war jetzt auch ein ganz guter Ansatz. Also, ihm zu sagen, dass wir wollen, dass er glücklich ist. Aber bisher waren seine Wünsche nie so, dass wir was dagegen haben mussten. Wieso soll er nicht allein verreisen, wenn es doch eine betreute Jugendreise ist und er Spaß daran hat? Wieso soll er nicht entscheiden, ein Hobby aufzugeben, wenn es ihm keinen Spaß mehr macht? Er muss das doch machen, nicht wir. Wir können nicht bestimmen, was ihm Spaß macht.


    Aber Drogen, Kriminalität und Rowdietum machen keinen Spaß.
    Er fragte, ob wir ihm das verbieten würden.
    Mein Mann erwiderte, er könne auch gern Hausarrest haben, bis die komischen Typen keinen Bock mehr hätten, ihn zu treffen.
    Darüber mussten alle lachen, was das Eis dann wirklich gebrochen hat.


    Jetzt muss er noch lernen, damit klarzukommen, dass sich dieses Mädel wohl nicht für ihn interessieren wird, egal, ob er dafür "cool" wird oder nicht.

  • Hallo Helena,


    vielen Dank für diese Rückmeldung.


    Das sind ja wirklich sehr positive Nachrichten. Ich freue mich für Sie und Ihre Familie, dass Sie einen so guten Weg gefunden haben, offen miteinander zu kommunizieren. Bewundernswert finde ich auch, wie Ihr Sohn in der Lage ist, Ihnen zu sagen, was er sich wünscht und was er empfindet. Das zeigt, dass es da eine stabile Basis in der Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Sohn gibt.


    Sie können sehr stolz auf sich sein! Stolz auf die Erziehung Ihres Sohnes, in der Sie wichtige Grundlagen gelegt haben und eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut haben - und stolz darauf, dass Sie in dieser schwierigen Situation so hartnäckig daran gearbeitet haben, im Interesse Ihres Sohnes eine Veränderung herbeizuführen.


    Herzlichen Glückwunsch! Dann können Sie sich jetzt auch auf Weihnachten freuen?


    Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass Sie uns an Ihrer Situation und Ihrem Weg teilhaben lassen. Ich denke, Ihre Erfahrungen machen anderen Eltern, die sich in ähnlicher Situation befinden, ganz viel Mut und Hoffnung.



    Anne

  • Zitat

    Herzlichen Glückwunsch! Dann können Sie sich jetzt auch auf Weihnachten freuen?

    Es ist diesmal alles etwas schwieriger und ruhiger.
    Einfach so zu tun, als wäre nichts gewesen, wäre auch nicht richtig, denke ich.


    Als er mit dieser komischen Phase anfing, hatte er uns gesagt, dass er den ganzen "Advents-Scheiß" nicht will und Weihnachten würde er mit seinen neuen Freunden feiern.
    Heute hat er gefragt, warum er keinen Adventskalender hat. Ich erwiderte, weil er gesagt hätte, er wolle keinen "Advents-Scheiß". Das habe er sooo gar nicht gemeint.
    Tja ...


    Ich überlege, ob ich was zum Nikolaus mache ... Wenn er einen Schritt auf mich zu macht, sollte ich das machen, oder?

  • Hallo Helena,


    sicherlich ist nicht alles so wie in den anderen Jahren und so zu tun, als wenn nichts gewesen wäre, erscheint mir auch als falsch. Dennoch gibt es ja Annäherungen und positive Entwicklungen, die es vielleicht ermöglichen, die Advents- und Weihnachtszeit auch ein wenig zu genießen?


    Als er mit dieser komischen Phase anfing, hatte er uns gesagt, dass er den ganzen "Advents-Scheiß" nicht will und Weihnachten würde er mit seinen neuen Freunden feiern.
    Heute hat er gefragt, warum er keinen Adventskalender hat. Ich erwiderte, weil er gesagt hätte, er wolle keinen "Advents-Scheiß". Das habe er sooo gar nicht gemeint.
    Tja ...


    Wenn ich das lese, ist mein Eindruck, dass Ihr Sohn gerade sehr über seinen Schatten springt.


    Vielleicht empfinden Sie das anders, weil Sie emotional natürlich ganz anders betroffen sind und Sie den Alltag mit Ihrem Sohn erleben?


    Für Ihren Sohn ist es sicherlich nicht ganz leicht, seine Fehler zuzugeben, seine Coolness Ihnen gegenüber wieder aufzugeben. Wenn er nun wieder einen Adventskalender haben will, könnte man das auch so interpretieren, dass er Ihnen mitteilen will, dass am "alten" Leben viel Gutes war und er auch die Familienharmonie vermisst (symbolisiert durch den Adventskalender). Er kann es vielleicht nur nicht anders/besser ausdrücken?


    Ich überlege, ob ich was zum Nikolaus mache ... Wenn er einen Schritt auf mich zu macht, sollte ich das machen, oder?


    Unbedingt! Ich denke auch, dass er bereits Schritte auf Sie zu gemacht hat.


    Wie bereits geschrieben, empfehle ich nicht, so zu tun, als wäre nichts gewesen, zumal sich Ihr Sohn ja auch gewünscht hat, dass Sie ihm klare Signale geben. Ich halte es aber auch für wichtig, dass Sie als Erwachsene ihm weiterhin zeigen, wie man sich als Erwachsener in Konfliktfällen verhält.




    Anne

  • Vielleicht empfinden Sie das anders, weil Sie emotional natürlich ganz anders betroffen sind und Sie den Alltag mit Ihrem Sohn erleben?



    Unbedingt! Ich denke auch, dass er bereits Schritte auf Sie zu gemacht hat.
    Wie bereits geschrieben, empfehle ich nicht, so zu tun, als wäre nichts gewesen, zumal sich Ihr Sohn ja auch gewünscht hat, dass Sie ihm klare Signale geben. Ich halte es aber auch für wichtig, dass Sie als Erwachsene ihm weiterhin zeigen, wie man sich als Erwachsener in Konfliktfällen verhält.

    Er ist immer noch etwas "zickig" und nicht unbedingt immer nett zu uns. Aber klar, das war schon ein Signal, dass er es gern wieder anders hätte. ;)


    Ich werde mir was überlegen. Nichts zu Großes und Teures, aber auch ein Signal, dass wir immer bereit sind, auf ihn zu zugehen. Oder vielleicht etwas, das mehr zu seinem "alten Leben" passt als zu seinem "neuen", von dem ich aber weiß, dass er es kaum wird ausschlagen können ...

  • Liebe Helena,


    es freut mich sehr, wie sich die Geschichte in Ihrer Familie entwickelt hat.
    Ich möchte allerdings an dieser Stelle auch noch auf meine erste Ausführung eingehen.
    Mein Anliegen war, Ihnen meine Gedanken zu Ihrem Sohn darzulegen und der Versuch einer Analyse seiner Gedankenwelt. Es hat sich nun ja auch heraus gestellt, dass zwar ein Mädchen im Spiel war, dem er imponieren wollte, aber der Grundgedanke, dass er mit seinem sich selbst schädigenden Verhalten "cool" sein wollte, trifft ja zweifellos zu.


    Es freut mich sehr, zu lesen, dass Sie einen Weg gefunden haben, (wieder) offen miteinander zu kommunizieren.
    Das "Eis" ist bebrochen. Das ist wunderschön.
    Ich denke auch, dass das "zickige" Verhalten noch eine Weile erhalten bleiben wird. Das gehört zu dieser Lebensphase einfach dazu.


    Jedenfalls wünsche ich Ihnen weiterhin alles Gute!
    Und auch ich denke, das Nikolausgeschenk ist genau richtig und ein schönes Zeichen von Wertschätzung und Zeichen Ihrer Liebe für ihn!

  • Wir haben uns nach längerer Diskussion dazu entschieden, ihm sowohl was zu schenken als auch das "cool sein" zu unterstützen.
    Vor einer Weile war mal von seiner Seite ein Mopedführerschein die Rede, wovon wir dann wegen der neuen Freunde Abstand genommen hatten.
    Jetzt haben wir ihm zum Nikolaus einen Gutschein über einige Fahrstunden geschenkt. Den Rest soll er möglichst selbst finanzieren, indem er sich einen kleinen Nebenjob sucht. Wir denken, dass es ihm gut tut, selbst was dafür zu tun (vielleicht haben wir es ihm in der Vergangenheit etwas zu einfach gemacht) und beschäftigt zu sein (hält ihn davon ab, Unfug zu machen 8) )
    Wir hoffen, dass ihm beides (Moped = cool, Job = selbstständig sein) einen gewissen sinnvollen Auftrieb gibt.


    Er hat sich auch sehr über das Geschenk gefreut und Bereitschaft signalisiert, sich einen Job zu suchen, mit dem er etwas zu Führerschein, Gefährt und Ausrüstung beitragen kann (denn natürlich werden wir schauen, dass er nicht alles selbst bezahlen muss bzw. dass das Ziel in einem überschaubaren Zeitrahmen erreicht wird. ;) )

  • Hallo Helena,


    ich lese immer gerne von den positiven Entwicklungen, von denen Sie hier berichten. :thumbup:


    Die Gedanken, die Sie sich zu dem Geschenk gemacht haben, finde ich sehr schön und nachvollziehbar. Ich denke auch, dass es Ihren Sohn auf einen anderen Weg bringen kann, wenn er einen Nebenjob hat und eine starke Motivation, sich Geld zu verdienen.
    Sie zeigen damit auch, dass Sie ihn und seine Bedürfnisse ernst nehmen.


    Vielleicht können Sie diese Absprache, die Sie anlässlich des Geschenkes gemacht haben (er verdient sich Geld dazu, Sie unterstützen ihn) ausweiten, in dem Sie mit Ihm eine Art "Vertrag" abschliessen. In dem Vertrag könnten Sie dann festlegen, was Sie bereit sind, an Unterstützung zu leisten, wenn er seinerseits bestimmte Dinge tut (Nebenjob) oder eben auch nicht tut (kriminelle Handlungen, Drogen,...). Er hat entsprechend auch die Möglichkeit zu sagen, was er bereit ist, zukünftig anders zu machen und was er sich im Gegenzug von Ihnen wünscht.


    Aus meiner Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen, hat ein solcher "Vertrag" immer ganz gut funktioniert, weil sich die Jugendlichen dann als angehende Erwachsene ernst genommen, beteiligt und gehört fühlen.


    (vielleicht haben wir es ihm in der Vergangenheit etwas zu einfach gemacht)

    Ich denke, Sie haben mit der Wahl Ihres Geschenkes schon einen guten Anfang gemacht, damit Ihr Sohn lernt, dass man im Leben nicht alles geschenkt bekommt, sondern für das Erreichen bestimmter Ziele eben auch entsprechend etwas leisten muss.


    Ich wünsche Ihnen weiterhin ein so gutes Händchen!


    Anne

  • Wir haben es jetzt mit einem "Vertrag" versucht, auf den er ziemlich willig eingegangen ist.
    Im Moment sucht er tatsächlich nach Jobs und gibt sich anscheinend auch wieder etwas mehr Mühe in der Schule. Das Halbjahrszeugnis wird das wohl nicht so richtig retten, aber vielleicht bleibt er wenigstens nicht sitzen (was natürlich auch nicht das Schlimmste auf Erden wäre, was wir ihm aber nicht gesagt haben. 8) )
    Bislang sind die komischen neuen Freunde auch nicht wieder aufgetaucht. Mal gucken, ob das so bleibt ...

  • Hallo Helena,

    Bislang sind die komischen neuen Freunde auch nicht wieder aufgetaucht. Mal gucken, ob das so bleibt ...

    Da drücke ich auf alle Fälle die Daumen. :thumbup:


    Vielleicht empfinden Sie es anders - aber ich finde es sehr erstaunlich, in welcher kurzer Zeit sich die positiven Entwicklungen in Ihrer Familie vollzogen haben. Da zeigt sich, dass es gut war, dass Sie frühzeitig der negativen Veränderung Ihres Sohnes entgegengesteuert haben und so hartnäckig und entschlossen drangeblieben sind. Da haben Sie sich - vor allem aber auch Ihrem Sohn - einen großen Dienst erwiesen.


    Alles Gute weiterhin


    Anne

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