Hat mein Kind AD(H)S? – Oder ist es einfach unkonzentriert?
AD(H)S ist die am häufigsten diagnostizierte Störung im Kinder- und Jugendalter, man geht von 3 – 5% betroffenen Jungen und Mädchen aus.
Die Diagnose ist und bleibt schwer zu stellen, einen anerkannten AD(H)S-Test gibt es nicht. Der Kinder- und Jugendpsychiater, Psychologe oder Kinderarzt gründet seine Diagnose in der Regel auf den Kriterien der beiden Klassifizierungskataloge DSM-IV oder ICD-10. Laut dieser Listen liegt ein AD(H)S vor, wenn:
- die Auffälligkeiten bereits vor dem 7.Lebensjahr gezeigt wurden
- die Problematik länger als ein halbes Jahr besteht
- ein deutlicher Leidensdruck erzeugt wird
- die Auffälligkeiten in mehreren Lebensbereichen auftreten (Schule, Freizeit, Familie)
- und eine tiefgreifende Entwicklungsstörung oder eine andere psychische Störung als Ursache ausgeschlossen werden kann.
Sie sehen selbst, dass diese Kriterien sehr schwammig sind, so dass Fehldiagnosen (in Fachkreisen spricht man von bis zu 80%) nicht verwundern.
Wie kann man nun als Elternteil erkennen, ob das Kind eventuell von einer AD(H)S-Störung betroffen ist und ein Arzt oder Psychologe aufgesucht werden sollte?
Als erstes sind zwei Formen der Aufmerksamkeitsstörung zu unterscheiden:
Das ADS, also eine Aufmerksamkeits-Defizit-Störung
Das ADHS, also eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung mit Hyperaktivität
Betroffene beider Gruppen haben Schwierigkeiten mit Konzentration, Organisation, Aufmerksamkeit und Ordnung. Bei der der zweiten Gruppe kommt darüber hinaus noch eine motorische Unruhe und Impulsivität hinzu.
Erkennen Sie ihr Kind in folgenden Beschreibungen bestens wieder, sollten Sie ärztlichen Rat suchen:
Unaufmerksamkeit
- das Kind trödelt und braucht selbst für alltägliche Dinge sehr lange?
- es muss immer wieder Anweisungen erhalten und bewältigt Aufgaben nur unter Aufsicht?
- alles (auch Nebensächliches) lenkt ihn oder sie von der eigentlichen Tätigkeit ab?
- das Kinderzimmer sieht immer chaotisch aus und das Kind verliert häufig Dinge (Spielzeug, Schulsachen, Kleidungsstücke etc.)?
- es träumt häufig, schweift mit den Gedanken ab?
- das Kind zeigt sich in neuen, interessanten Situationen hoch konzentriert?
- Hausaufgaben dauern unangemessen lange, werden nur unter Aufsicht erledigt und es kommt häufig zu Machtkämpfen, Tränen und/oder Wutausbrüchen?
Schule
- das Kind ist schlecht vorbereitet, es fehlen häufig, Arbeitsmaterial, Hausaufgaben, Sportzeug etc.)?
- das Leistungsverhalten schwankt deutlich?
- das Kind fällt durch träumen, dösen „Löcher in die Luft starren“ u.Ä.auf?
- trotz Erklärung und Anleitung fragt das Kind ständig nach, weiß nicht mehr was es tun soll und arbeitet unselbstständig?
- das Kind ist unorganisiert: Hausaufgabenheft, Notizen und Arbeitsplatz sind unübersichtlich und chaotisch?
- Ab- und Mitschreiben fällt ihm/ihr schwer?
- das Kind macht häufig Flüchtigkeitsfehler, erbringt in Tests schlechte Ergebnisse, kontrolliert seine Aufgaben nicht, überspringt Zwischenschritte?
- Lehrer beschweren sich häufig?
Im Umgang mit Anderen
- er/sie vergisst Verabredungen und Abmachungen?
- das Kind hat wenig Freundschaften und kann diese auch nur schwer halten?
- es hört schlecht zu, ist ständig abgelenkt?
- soziale Regeln und Signale (besonders Non-verbale)versteht er/sie nicht oder nur schwer?
- Aktivitäten werden oft nicht beendet oder gar nicht erst begonnen?
Hyperaktivität
- das Kind kann nicht still sitzen, es zappelt, wippt, rudert mit den Armen, steht auf etc.?
- er/sie fällt durch ein übersteigertes Redebedürfnis (negativ) auf?
- es Spielt häufig nebenbei mit Gegenständen (Kugelschreiber, Kleidung, Haare, Besteck u. A.)?
- das Kind mag keine Enge, kann z.B. auch schlecht in einer Reihe stehen?
- es hat Einschlafstörungen oder braucht ohnehin nur wenig Schlaf?
- andauernder Bewegungsdrang, rennen hüpfen, Anfassen anderer Menschen stört seine/ihre Mitmenschen?
- das Kind kann sich nur schwer selbst steuern, reagiert oft impulsiv?
- er/sie unterbricht Andere penetrant?
- Konsequenzen seines Handelns kann er/sie nur schlecht einschätzen?
- das Kind kann eigene Bedürfnisse kaum oder gar nicht hinten anstellen (z.B. kann nicht warten bis er/sie/an der Reihe ist, ruft in die Klasse)?
- es verletzt andere häufig durch unüberlegte Aussagen/Handlungen?
- er/sie kann sich schlecht auf Neuerungen einstellen (auch neuer Schulstoff bereitet Probleme)?
- das Kind verfügt über kein realistisches Gefahrenbewusstsein, verletzt sich häufig?
- er/sie lässt sich leicht anstiften, wird aber auch schnell zum Sündenbock?
- Aufgaben werden oft schnell, aber flüchtig und mit vielen Fehlern, erledigt; Zwischenschritte werden weggelassen?
- das Kind findet sich häufig in Konfliktsituationen wieder, schreit, wird aggressiv, findet sich ungerecht behandelt?
Wenn Sie ihr Kind in Hinblick auf diese Punkte beobachten, bedenken Sie, diese Verhaltensweisen sind bis zu einem gewissen Punkt „normal“, erst wenn Sie die große Mehrheit der Fragen/Aussagen über einen längeren Zeitraum, bestätigen können, kann das ein Hinweis auf AD(H)S sein. Berücksichtigen Sie auch, dass Verhaltensauffälligkeiten auch durch andere Umstände hervorgerufen werden können, z.B.:
- Wohnort- und/oder Schulwechsel
- Änderung im Familienkonstrukt (Neuer Partner, Scheidung, neues Geschwisterkind, u.Ä.)
- Berufstätigkeit eines Elternteils, das vorher zu Hause war, aber auch Arbeitslosigkeit eines Elternteils
- Emotional und/oder physisch belastete Eltern. Geht es Ihnen gut oder sind sie in letzter Zeit selbst gestresst, genervt, traurig, krank oder gereizt?
- Eintreten der Pubertät
Nach allem Abwägen erhärtet sich ihr Verdacht, dass ihr Kind von AD(H)S betroffen ist?
Dann besprechen Sie ihre Vermutung mit einem Arzt, achten Sie darauf, dass er sich mit der Diagnostik dieser Störung auskennt und er ein gründliches Anamnesegespräch führt, er das Kind selbst kennenlernt und sein Verhalten beobachtet, eine Leistungsdiagnostik und ggf. eine neurologische Diagnostik erstellt werden.
Lassen Sie sich gut beraten, was Sie tun können, um Ihrem Kind zu helfen und was Sie für sich tun können, damit ihr Alltag leichter wird. Informieren Sie sich über Therapien, Selbsthilfegruppen und Verhaltenstrainings. Die Gabe von Medikamenten sollte gründlich abgewogen werden und die letzte Möglichkeit sein, wenn bereits alle anderen Versuche, das Verhalten zu regulieren, erfolglos unternommen wurden.
Und zum Schluss ein kleiner Trost.
Ja das Leben mit einem AD(H)S-Kind ist anstrengend und ja, diese Kinder bringen einen mit ihrem Verhalten oft an die Grenzen. Aber neben all den Schwierigkeiten, die sie mitbringen, haben sie auch viele positive Eigenschaften, denn AD(H)S-Kinder sind in der Regel:
- neugierig und wissbegierig
- Sportskanonen
- hilfsbereit
- begeisterungsfähig
- kreativ und witzig
- wenig empfindlich oder nachtragend
- kleine Kämpfer, die immer wieder aufstehen
Und… meist werden die Symptome mit zunehmenden Lebensalter schwächer!