Beiträge von Handwerkerin

    Hallo Klara,


    vielen Dank für Ihre Antwort. Ich stimme Ihnen zu: Jeder muss lernen, mit Enttäuschungen fertigzuwerden! Die Sache ist nur: Die Frustrationstoleranz eines Menschen mit hoher Intelligenz wird im deutschen Bildungssystem weitaus mehr strapaziert, als mancher sich das vorstellen kann. Natürlich hängt es auch vom Temperament des/der Einzelnen ab, wie er/sie darauf reagiert. Meiner Erfahrung nach reicht die Bandbreite von Depressivität und Angstzuständen über Aggressivität und Verweigerung bis hin zum berühmten Klassenclown. Die Folgen können bis zu dem Versuch reichen, sich durch die strategische Einnahme von Alkohol einige IQ-Punkte »wegzusaufen«, nur um endlich so zu sein wie die anderen. Nicht vergessen werden darf ja, dass intelligente Menschen verstärkt dem Mobbing ihrer Mitschüler ausgesetzt sind. Die Betroffenen finden sich dann schnell beim Schulpsychologischen Dienst wieder, wodurch sie ihre Intelligenz als pathologisiert empfinden.


    Die Angst vor Fehlern kann bei Hochbegabten tatsächlich gesteigert sein. Dies rührt daher, dass sie nicht selten dem Spott der Mitschüler ausgesetzt sind, wenn sie mal daneben greifen: »Du bist eben doch nur eine ganz gewöhnliche Strebersau, ich hab es immer gewusst!« – Kurz gesagt: Da spielen sich unendliche Dramen ab, die das gesamte künftige Leben überschatten können. Sich von den Traumata der Schulzeit freizumachen und den Start ins richtige Leben zu finden, ist deshalb für intelligente Menschen gar nicht so einfach.


    Handwerkerin

    Hallo Dino86,


    durch einen Zufall stieß ich auf Ihren Post und hatte sofort aufgrund eigener Erfahrungen solche Flashbacks, dass ich nun extra einen Account in diesem Forum angelegt habe, um Ihnen zu antworten.


    Bitte vergessen Sie alle Punktesysteme, verkrampften Konsequenzen und sonstige pädagogische Maßnahmen! Ein Mensch mit IQ 139 durchschaut den Zweck sofort und empfindet diese Methoden als seine Intelligenz beleidigende Manipulationsversuche. So empfindet er im Übrigen auch das gesamte Schulsystem. Gehen Sie einfach davon aus, dass Sie eine in mancher Hinsicht bereits erwachsene Person in einem viel zu kleinen Körper vor sich haben. Oder stellen Sie sich vor, Ihr Chef würde von Ihnen verlangen, innerhalb von einem Jahr aus drei kleinen Holzklötzchen einen einfachen Turm zu bauen und Ihnen mit Abmahnung drohen, wenn Sie sich weigern, 8 Stunden am Tag daran zu arbeiten: Wie würden Sie reagieren? Würden Sie sich verarscht fühlen? Nach zusätzlichen Aufgaben verlangen? Oder würden Sie spätestens am dritten Tag dem Chef die Klötzchen an den Kopf werfen?


    Bitte vergessen Sie auch sämtliche Absprachen mit irgendwelchen Pädagogen: Ihr Kind durchschaut diese Vorgänge sofort und durchkreuzt die Absicht, indem es sich genau so verhält, wie es sich jetzt verhält. Denn es empfindet die Vorgehensweise als Verrat. Ihre Tochter stellt sich wahrscheinlich permanent die Frage, warum die eigenen Eltern sich mit Lehrern gegen sie verbünden. Denn dass all dies zu ihrem Besten sein soll, kann sie nicht glauben. Und sie hat Recht.


    Eltern stehen in dieser Situation völlig alleine da. Denn es gibt keinen Weg, den Zwängen des deutschen Bildungssystems zu entkommen. Gehen Sie einfach davon aus, dass es für dieses Problem da draußen keinerlei echtes Verständnis gibt. Für Sie gibt es nur eine einzige natürliche Verbündete: Ihre Tochter. Also tun Sie sich mit ihr zusammen. Machen Sie ihr klar, dass Sie die Zumutungen des Bildungssystems ebenfalls für daneben halten, es aber leider nicht ändern können. Zeigen Sie ihr, dass Sie auf ihrer Seite stehen. Zeigen Sie es ihr, wenn sie (was in der Pubertät mit hoher Wahrscheinlichkeit geschehen wird) ungerechte Verweise für ihre gerechtfertigte Verweigerung erhält: Zerreißen Sie die läppischen Zettel vor ihren Augen. Riskieren Sie dabei ruhig, aus Sicht der Schule selbst zum »Outlaw« zu werden. Im Vergleich zur seelischen Gesundheit Ihres Kindes ist das vollkommen egal. Kurz gesagt: Zeigen Sie Ihrer Tochter, dass Blut dicker ist als Wasser. Und falls Sie zwischendrin aufgeben will, dann machen Sie einen Deal mit ihr: »Ok, ich werde Dich nicht zum Lernen zwingen. Aber ich möchte wissen, ob Du schlau genug bist, das Abitur zu bestehen, ohne jemals auch nur einen Handstreich dafür zu lernen. Challenge accepted?« – Sie wird dann mutmaßlich akzeptieren, weitermachen und ohne zu lernen bestehen, wenngleich nicht mit Bestnoten. Aber darauf kommt es auch nicht an, denn es ist möglicherweise ihre einzige Chance, überhaupt zu einem Schulabschluss zu kommen, ohne die Schulzeit als einzigen Horrortrip in Erinnerung zu behalten. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Tochter viel Langmut und Kraft!