Lieber Papa!
Fein, dass du uns durch die Schilderung des Verhaltens deines Sohnes und Verortung in Kontexten ein breites Diskussionsfeld eröffnest. Ich möchte es aufgreifen und einige Ratschläge hier lassen. Beziehung ist immer geprägt von Dynamik, die zwischen Eltern und Kindern ist mitunter schwer aushaltbar. Verhaltensveränderungen passieren meist wechselseitig. Es wird seinerseits keine Verhaltensänderung geben (können), wenn ihr (als der reifere und reflektiertere Part) nicht entsprechend einwirkt. Ihr habt dahingehend viel "in der Hand". Manchmal ist es dabei ein erster kleiner (und so wichtiger!) Schritt, aus der Perspektive des Elternteils wegzugehen und versuchen, sich in das Kind hineinzuversetzen!
Einiges, das ich aus deinem Beitrag herauslese, irritiert mich. Ich habe das Gefühl, da wird ein (doch noch recht kleines Kind) problematisiert und in die Rolle eines "kleinen Erwachsenen" gedrängt, der diszipliniert zu gehorchen hat. Für manche Kinder wäre die Vorgehensweise kein Problem. Die können sich ganz gut anpassen und "parieren" leicht. Euer Kind funktioniert da anders (und das ist gut so!!!). Ich lese da extrem viel Persönlichkeit, Intellekt und Willen heraus. Alles gute Eigenschaften, wenn man sie gut zu kanalisieren weiß und nicht "abdrehen" möchte... Deine Wortwahl an manchen Stellen lässt mich aber vermuten, dass ihr durchaus ein Problem damit habt, dass euer Kleiner eben nicht so "hört", wie ihr euch das wünscht/als Ideal vorstellt...
Irritierende Ausdrücke in diesem Kontext für mich: Strafe - Disziplin verbessern - Disziplinschwäche
Sehr interessant für mich (hättest du es nicht geschrieben, hätte ich nachgefragt): In institutionellem Kontext (Vorschule) kann er sich einfügen, fällt nicht unangenehm auf. --> Sagt viel darüber aus, dass er sich eigentlich (dem Alter entsprechend) wohl schon ganz gut im Griff hat. Aus irgendeinem Grund geht es im familiären Kontext nicht. Für den familiären Kontext ist er aber nicht alleine verantwortlich --> Es muss eine Dynamik geben, die ihn triggert.
--> Die Frage ist nicht: "Wie ist er zu disziplinieren? Welche Strafen könnten greifen?" sondern UNBEDINGT
--> "Warum reagiert/agiert er so? Was könnte ihm helfen?"
Ich bin eine alte Verfechterin des Spruches: "Kinder machen keine Probleme, sie haben welche."
--> Genau hinschauen: Wo sind seine Stärken? Was kann er gut? Ressourcenorientiert mit ihm umgehen. Ihm das Gefühl geben, akzeptiert zu sein in seiner Art, das ist wichtig. Vielleicht muss er dann nicht mehr so viel "rebellieren" und die Aufmerksamkeit mit unangenehmen Verhalten suchen (bringt sich in Gefahr; macht Dinge kaputt)...
Dinge, die ihm spürbar nicht guttun ("Screentime") reduzieren! Dinge, die ihn "auspowern" und seinen Stärken entgegenkommen, fördern. Natur bringt "hibbelige" Kinder auch gut runter. Ihm Zeit widmen, ihm zuhören, ihn verstehen wollen,... Da gilt es anzusetzen. DAS kann negatives Verhalten verändern. Strafen und (falsch verstandene) Disziplin brechen (kleine) Menschen im Normalfall eigentlich nur...
Aber Vorsicht: Strafen und Konsequenz ist NICHT dasselbe. Konsequenz für unangebrachtes Verhalten (Zerstörung etc.) muss es geben, aber immer im Kontext. Hier müssen Grenzen gesetzt werden. Für die meisten Kinder in dem Alter, die ich kenne, ist so ein "Ab ins Zimmer" oder "Jetzt gibt es keine Screentime" eigentlich maximal irritierend, mehr nicht.
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Ich würde euch tatsächlich eine Erziehungsberatung empfehlen, weil ich glaube, dass da viel negative Dynamik abgebaut werden muss und ein anderer Blickwinkel aufs Kind (nämlich kein so problembehafteter) sinnvoll wäre, damit sich familienintern etwas entspannen kann. Für mich in dem Kontext tatsächlich eben sehr aussagekräftig, dass die Schwierigkeiten im institutionellen Rahmen (wo ihr eben nicht dabei seid und keinen Einfluss nehmen könnt) überschaubar sind. Lägen eventuelle Problemfelder vor (zB Wahrnehmungsstörung o.ä.) würde man das im Regelfall in jedem anderen Kontext auch beobachten können. Und gerade Betreuungseinrichtungen melden sich in der Regel sehr schnell, wenn sie auffälliges Verhalten feststellen. Die haben dort ja auch recht viel Vergleichsmöglichkeit.
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Alles Liebe euch - und dem Kleinen ganz besonders!
(Man merkt es vielleicht an meiner Antwort. Ich kann mich in kleine Rebellen und Rebellinnen im Regelfall gut hineinversetzen...)