13-jährige ohne Freunde und ohne Grenzen

  • Hallo zusammen,


    ich bin Mutter ein 13-jährigen Tochter, die immer schon Schwierigkeiten mit Impulskontrolle und Grenzen hatte. Mein Mann und ich haben in der Vergangenheit mit unserer Tochter mehrere Anläufe bei Beratungsstellen, Psychologen, Tagesklinik gehabt. Immer mit dem Effekt, dass unsere Tochter die Mitarbeit verweigerte und nicht mehr mitgegangen ist.

    Tenor der beratenden Stellen war, dass man sie nicht zwingen könne. Sie wurde zweimal getestet. Überdurchschnittlich, nicht hochbegabt und ganz interessant, keine altersgerechte Empathie.

    Das ist mir leider auch schon selbst aufgefallen und zwar einmal im Umgang mit uns als Eltern aber vor allem mit beginnenden Freundschaften. Meine Tochter fordert unaufgeschränkte Aufmerksamkeit. Sie lässt ihrem Gegenüber keine Möglichkeit, eine Freundschaft langsam zu entwicklen. Sie ruft 7 - 8 x bei den Leuten an, für die sie sich sehr interessiert.

    Alles reden hilft nicht. Wir erklären ihr, dass sie die Sachen entspannt angehen soll. Dann schreit sie uns an, wir würden ihr ihre Freunde nicht gönnen. Ich denke bei mir "was für Freunde"? Denn sie hat keine, weil sie so klammert.

    Gestern Abend ist sie abgehauen. 13 Jahre jung! Sie ist einfach zu einer gleichalten Bekannten, die sie ganz toll findet und die sie förmlich stalkt. Die Mutter der Bekannten rief an und meinte, wir sollen unsere Tochter abholen, was überhaupt bei uns los sei. Ich sagte, das wüsste ich auch gerne.

    Mein Mann hat sie abgeholt und jetzt liegt sie in ihrem Zimmer und schläft.

    Habe mich gestern Abend noch lange mit der besagten Mutter unterhalten. Sie meinte, dass ihre Tochter in Behandlung sei wegen Depressionen und sie sich von unserer Tochter verfolgt fühle. Unsere Tochter kopiert das Mädchen auch, äußerlich, Musikgeschmack, Essen, Trinken.

    Gestern Abend, nachdem sie zurück war, verkündete sie, sie leide, wie ihre "Freundin" an Depressionen aber wir hätten ja kein Verständnis.

    Dabei war sie den ganzen Tag gut drauf, shoppen, essen, chillen. Sorry für mein konfuses Geschreibe. Aus dieser Stimmung heraus ist sie gestern Abend abgehauen, weil sie auf die Idee kam, Depressionen zu haben.

    Wenn wir jetzt Ratschläge bekommen, wir sollen zu einer Beratung gehen, ist das nachvollziehbar aber sie wird nicht mitziehen.


    Hat das jemand von euch auch so in der Art erlebt? Was kann man machen? Das ärgste ist eigentlich, dass sie keine Freunde hat und ich sehe schon, dass das Problem in ihrem Verhalten liegt. Ja, eine Verhaltentherapie wäre gut aber sie will nicht. Ich kann sie nicht untern Arm klemmen und mitnehmen. Egal mit was wir ihr dann kommen, sie kooperiert nicht.


    Interessant waren die Aussagen, ihrer Ex-Grundschulkollegen. Mit denen hat sie sich vor paar Wochen getroffen und diese meinten, sie hätten sie immer als Psycho erlebt und deshalb keine Freundschaft mit ihr schließen wollen.


    Das tut weh. Ihr und uns. Mein Mann und ich sind gut eingebunden, beruflich und haben einen guten Bekanntenkreis.


    Was kann man tun um ihr zu helfen, wenn sie sich nicht helfen lassen will?

  • Hallo Okapi!


    Etwas vornweg, weil du es öfter angesprochen hast und ich da auch eine gewisse Hilflosigkeit herauslese: Es stimmt absolut, wenn sie sich nicht helfen lassen will, kannst du dich auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln, du änderst an der Situation nichts. Das ist schwer zu ertragen, weil man sich ja - vor allem für so junge Kinder - zuständig fühlt und auch in der Zuständigkeit ist. Wird dann alles verweigert, macht das ganz viel mit einem als Elternteil. Damit zurechtzukommen, dass man machtlos/hilflos ist und sich dahingehend abgrenzen muss, um selbst einigermaßen zu "funktionieren" ist ein heftiger Prozess...


    Natürlich bist du nicht völlig hilflos. Du kannst Dinge probieren/anbieten (dazu gleich mehr), aber ohne engmaschige therapeutische Einbindung wird das alles eher ein Tropfen am heißen Stein sein. Für einen Therapieprozess braucht es aber ein Mindesmaß an Leidensdruck und Einsicht. Ohne diese zwei Komponenten, die von deiner Tochter kommen müssen, wird hier kein Prozess entstehen... Dazu muss ich sagen: Sie ist jung. Gut möglich, dass die Einsicht kommt und dann wird in dem Fall therapeutisch vermutlich auch viel möglich sein... Bis es so weit ist, dass deine Tochter in die Veränderung kommt, möchte ich dir an dieser Stelle wirklich den Tipp geben, dir FÜR DICH Hilfe zu suchen. Denn du brauchst sie und du bist offen dafür - es wird einen positiven Effekt haben...


    Zu deiner Tochter: Ich halte grundsätzlich gar nichts davon, mit Vermutungen und Diagnosen umherzuwerfen, denn das finde ich sehr unprofessionell und sollte dort geschehen, wo ausgebildete Menschen sitzen (Psychiater, Diagnosezentrum). Da das Sozialverhalten und Empathie deiner Tochter aber sehr auffällig sind und das auch in jungen Jahren der Fall war (Grundschule), würde ich dir raten, noch eine Diagnostik machen zu lassen. Wie gesagt, es geht hier gar nicht um Mutmaßungen (ich kenne deine Tochter ja auch nur anhand eines Postings), aber dennoch meine Frage: Wurde damals bei der Diagnostik in Richtung Entwicklungsstörung/Autismus-Spektrum überprüft? Das war nämlich tatsächlich das erste, an das ich bei deinen Schilderungen gedacht habe - wertfrei. Auch das Alter ist dahingehend nicht ungewöhnlich. Das fällt oft relativ früh auf und mit den Diagnosen ist man manchmal zögerlich, wenn es nicht ganz massiv ist (dann werden Diagnosen tw auch schon im Kindergarten gestellt), um zu sehen, ob es sich "verwächst". Dass bei deiner Tochter zB im Vorfeld eine nicht altersgerechte Empathie festgestellt wurde, ist auffällig für mich...


    Was du machen kannst: Fördern, aber nicht überfordern. Ihr in verschiedenen Situationen andere Perspektiven/Blickwinkel aufzeigen. Sie anspornen, sich in andere hineinzuversetzen (und zwar in 0815-Situationen, nicht in hochemotionalen zwischenmenschlichen Situationen). Deine eigene Gefühlslage

    nicht nur zeigen, sondern zusätzlich beschreiben. Ganz deutliche Grenzen setzen und da keinen Millimeter davon abrücken (im Hinblick auf das Stalken zb).


    Außerdem hast du die Möglichkeit, ihr sehr wohl Therapiemöglichkeiten zu bieten, die vielleicht gar keine so schlechten Effekte haben und keine "klassische Gesprächstherapie" sind, gegen die sich Kinder/Jugendliche in dem Alter ohnehin wehren... Tiergestützte Therapie mit Hunden oder Pferden wäre eine klassische Möglichkeit. Oder Kunsttherapie. Was auch ein Geheimtipp ist: Psychodrama.


    Vielleicht nimmst du aus meinem Beitrag was mit... Was ich dir aber in jedem Fall sagen möchte: Schön, dass du so hinter deiner Tochter stehst, dabei so reflektiert bist und Lösungen überlegst! :)


    Alles Liebe!

  • Dani, danke für deine Antwort.

    Meine Tochter wurde 2x getestet, auch auf Asperger, ADHS. Raus kam eben, dass sie überdurchschnittlich intellgent ist aber nicht hochbegabt und vor allem Probleme im Bereich Empathie hat. ADHS oder Asperger wurden 2x ausgeschlossen. Die Praxis empfahl eine Verhaltenstherapie, meine Tochter meinte, nö.


    Ich merke täglich, wie wenig Feingefühl sie im Umgang mit anderen Menschen an den Tag legt. D.h., dass sie Signale nicht erkennen möchte. Mit Kindern die sie durch ihre offene Art kennenlernt, läuft es immer gleich ab. Telefonnummern werden ausgetauscht, man trifft sich 1 - 2 x und die Kinder ziehen sich dann zurück. Darauf fängt meine Tochter an, ständig anzurufen, WhatsApp usw.


    Wir sagen ihr "hör auf damit, das ist zuviel, du verscheuchst die Kinder". Sie dann "lasst mich in Ruhe, ihr wollt nur nicht das ich Freunde habe".


    So geht das seit Jahren. Als sie kleiner war, konnten wir viel kompensieren. Ausflüge, schwimmen, wandern, Zoo, Jumphouse...


    Reiten war sie jahrelang. Leider ging das organisatorisch nicht mehr und hier in der Stadt, in offiziellen Reitställen, kannste ewig warten.


    Tierlieb ist sie. Da wir beide berufstätig sind haben wir ihr 2 Mäuse gekauft. Neulust war enorm. Wer sich aber kümmert, 3x darfst du raten.


    Pflegehund hatten wir auch schon. Morgens und am späten Abend durfte ich mich mit dem Hund auf den Gassiweg machen.


    Sie ist unzuverlässig, verspricht das Blaue vom Himmel, ist charmant, fährt die Krallen aus, kommt erst Bombe bei Leuten an, nach 2x haben die Leute die Nase voll. Tenor: Sie ist zu drüber, sie steigert sich in alles rein.


    Ich rede mir den Mund fusselig, gebe Tipps. Sie ist im Schwimmverein, im Kampfsport, Artistik. Sie powert sich aus. Egal wie lange sie jeweils dabei ist, sie findet keinen Freunde, keinen Anschluss. Sie separiert sich teils selbst. Damals mit der Handballgruppe ist sie weggefahren. Der Trainer hat in die Gruppe ständig Fotos gepostet. Nur sie war auf keinem Bild dabei. Aussage: "Die mögen mich alle nicht, habe mich dann zurückgezogen". Das war völliger Quatsch. Voll die netten Kinder.


    Es ist wie ein verfluchter Kreislauf, um so weniger soziale Kontakte sie hat, um so unleidlicher wird sie und um so ausgehungerter ist sie. Das Alter, Dinge noch forcieren zu können, ist nun rum.


    Kann man Freundschaft lernen? Ich glaube, und das habe ich ihr heute Vormittag gesagt, man muss an sich selbst arbeiten. Da sie keine Hilfe annimmt, wird ihr Weg beschwerlich werden. Sie sagte auch selbst, dass sie in der Klasse in eine Schublade gesteckt wurde, weil sie sich immer so arg verhielte und das sie das ändern wolle, am liebsten in Form eines Schulwechsels. Dabei hat sie vor einem Jahr genau diesen hinter sich gebracht, voller Hoffnung. Nun stehen wir wieder da, wo es damals im Chaos endete.


    Wenn das eigene Kind so unbeliebt ist, macht das was mit einem. Ich sehe ja auch, welche Verhaltensweise unattraktiv sind aber ich kann sie nicht ändern.


    Wie sehr wünschte ich mir, es macht "klick" bei ihr und sie hat endlich zuverlässige Kontakte.


    Wieder zur Beratung, wieder zum Psychologen, das wird sie nicht mitmachen. Aber ich habe heute für meinen Mann und mich einen Termin bei einer Erziehungsberatung online angefragt, wieder mal.

  • Ja, Freundschaft/Sozialverhalten lernt man und zwar durch Interaktion. Wenn hier irgendwas hemmt, ist das aber natürlich erschwert. So wie in allen anderen Bereichen auch: Mit einer auffälligen Motorik wird man sich schwerer tun, gehen, laufen und Radfahren zu lernen als andere Personen... Das kann durch parallele Therapien unterstützt werden.


    Schaut euch vielleicht wirklich ein wenig im Bereich der alternativen Therapiemöglichkeiten (eben zB Kunst, Psychodrama etc.) um. Das fühlt sich nicht wie "Therapie" an und kann von ihr vielleicht doch angenommen werden... Dein zweiter Beitrag klingt jetzt nämlich schon eher so, als hätte sie auch einen Leidensdruck und nicht nur du...

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