Kinder und Kreativität bzw. digitale Welt

  • Ich melde mich mal mit einem Diskussionsthema zurück.


    Vor einigen Tagen fiel mir in einer Kindergruppe auf, wie wenig kreativ manche Kinder inzwischen sind.
    Einige Kinder sind "normal" - sie probieren Dinge aus, haben ihrem eigenen Geschmack, basteln fast selbstständig und freuen sich über das Ergebnis (auch wenn's krumm und schief ist).
    Aber andere Kinder in dieser Bastelrunde wussten nicht, wie sie anfangen sollten, hatten keinerlei Vorstellungskraft, mussten angeleitet werden, verloren schnell die Lust und meinten später, "das Objekt sähe ja gar nicht gut aus".


    Gestern sah ich eine Reportage, in der es eigentlich darum ging, ob die "Digitalisierung des Unterrichts" in Südkorea dazu beitrüge, dass die Schüler dort mehr lernten als in Deutschland.
    Das Ergebnis war recht ernüchternd. Der Grund für die höhere Leistung ist Disziplin, Druck und Erwartungshaltung, während zu viel Digitalisierung in jungen Jahren im menschlichen Gehirn zum Absterben von Nervenverbindungen führt bzw. sie werden gar nicht erst geknüpft.
    Der Spruch "Was Hänschen nicht lernt ..." stimmt somit durchaus. Was wir in jungen Jahren nicht lernen und nicht erfahren, fehlt uns später ein Leben lang.


    Was macht ihr, um euren Kindern so viele verschiedene Nervenverbindungen wie möglich mitzugeben?

  • Hallo Tecret,


    das ist wirklich ein hoch spannendes Thema. Ich beobachte selbst seit einigen Jahren, dass es in der Tat vermehrt Kinder und Jugendliche gibt, denen ein phantasievolles Gestalten (Basteln, Malen, Zeichnen, Modellieren) sehr schwer fällt, die sehr gehemmt und regelrecht blockiert scheinen.
    Ich denke allerdings nicht, dass dies allein mit der Digitalisierung zu erklären ist, sondern auch damit, dass Kinder es kaum gewohnt sind, eigenständig und freigeistig phantasievoll und kreativ zu denken. Der Kunstunterricht in den Schulen wurde bereits reduziert bzw. teilweise gestrichen und selbst wenn es Fächer wie Bildende Kunst oder Musik gibt, dann hält sich der Lehrplan samt Lehrkräften mehr an der Theorie und an Gestaltungsregeln (und Regeln bedeuten, es gibt ein "richtig" und ein "falsch", was wiederum Kreativität verhindert) auf, als dass die Phantasie und Kreativität ausgelebt werden darf. Dann werden Themenvorgaben im Kunstunterricht als Regel und starre Vorgabe erlebt und nicht mehr - wie hoffentlich im Eigentlichen gewünscht - als schlichter Impuls.


    Ich denke, es ist wichtig, Kinder kontinuierlich dazu zu ermutigen, kreativ und phantasievoll zu sein. Starre Vorgaben und Regeln beschneiden, so meine Meinung, in nicht zu unterschätzendem oder sogar wesentlichem Maße die individuelle Kreativität und Schöpferkraft.


    Ich bin mir sicher, dass Kreativität in jedem Menschen steckt und nicht "kaputt" gehen oder verschwinden kann. Kreativ zu sein braucht man nicht zu lernen, denn wir alle SIND kreativ. Tief in uns sind wir alle kreativ und werden es immer sein. Die Kreativität muss ausgelebt werden dürfen, damit sie sich entfalten und erblühen kann. Kreativität hat viel mit "spielen" zu tun und vor allem mit einem Zustand, einem Modus, in dem es kein Richtig und kein Falsch gibt. ...
    Doch leider lebt man uns genau dies sooo oft vor: das ist richtig, das ist falsch, sei rational, träume nicht....

  • Hallo Klara,


    interessanterweise beobachte ich, dass die wenigsten Menschen wirklich rational sind bzw. in der Lage sind, rational zu handeln.
    Ein Freund sagte kürzlich zu mir, dass immer viele behaupten, sie würden rational sein, sind dann aber doch bloß emotional. Er zweifle daran, dass überhaupt irgendwer rational sei.
    Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich würde mich durchaus als einen äußerst rationalen Menschen bezeichnen. Allerdings ist die Basis meiner Entscheidungen zumeist tatsächlich emotional, wenngleich ich sie rational auslote. Etwas, was ich bei anderen Menschen nur sehr selten sehe.
    Trotzdem bin ich auch kreativ. Zwar nicht "künstlerisch frei", sondern in einer recht strukturierten Form, aber ich habe sozusagen ein "Gefühl" dafür.


    Nach dem momentanen Stand der Hirnforschung entsteht Kreativität in der Tat durch Spielen. Freies Spielen, bei dem unterschiedliche Dinge auf unterschiedliche Weisen ausprobiert werden. Dadurch entstehen die Verknüpfungen im Gehirn. Und je mehr man als Kind ausprobiert und spielt, umso mehr Verbindungen entstehen offenbar.
    Und hier, denke ich, besteht wohl schon ein Zusammenhang mit der Digitalisierung. Unsere Kinder spielen heute schon zu früh Computerspiele und verbringen zu viel Zeit vor dem Fernseher. Wenn man sie raus schickt, wissen manche Kinder schon gar nicht mehr, was sie da eigentlich machen sollen. Und die gleichen Kinder sind es wohl auch, die dann keinerlei Kreativität entwickeln.


    Das mit dem Schulunterricht stimmt natürlich auch. Die musischen Fächer sind stark limitiert und reglementiert. Es geht fast nie darum, frei etwas zu schaffen, sondern recht stur um bestimmte Dinge. Allerdings war das zu meiner Schulzeit auch schon so. Ich erinnere mich daran, dass ich in der Grundschule eine Diskussion mit meiner Kunstlehrerin führte, weil bei meinem Haus die Fenster unten und die Tür oben war. Ich war jedoch ein ziemlich stures, argumentatives Kind - und habe die Diskussion gewonnen. :D
    Mein Vater pflegte zu sagen, ich sei eine kleine, gefährliche Hexe. Sehr ruhig, aber unnachgiebig, wenn es um meine Belange ging. Ich hätte die Leute immer angeguckt wie eine Ehefrau, deren Mann gerade feststellt, dass der Kaffee komisch schmeckt 8) , und dann mit ruhigem Nachdruck meinen Willen durchgedrückt.
    "Bei meinem Haus ist die Tür oben, weil die Bewohner anders sind." - "Wie anders?" - "Sie denken anders." Basta, Thema durch. :D


    Allerdings waren Lehrer damals oft noch eher bereit, sich auf so etwas einzulassen. Das ist auch etwas, was ich festgestellt habe. Oder ich hatte immer Glück, an Lehrer zu geraten, die sich gesagt haben: Wenn das Kind (später auch als Jugendliche) unbedingt seinen eigenen Weg gehen will, dann soll sie wenigstens lernen, es zu begründen.
    Speziell mein Klassenlehrer in der Realschule hat das "ausgenutzt". Ich war ständig damit beschäftigt, Theorien zu beweisen oder Argumentationen zu begründen, und wenn ich dafür stundenlang Recherchen durchführen musste.
    Damals hat mich das oft geärgert, aber heute ist mir natürlich klar, dass es die beste Schulung und Förderung überhaupt war. Er hat mich ernst genommen und mich zugleich auf eine Weise provoziert, durch die ich mehr gelernt habe als durch jeden Schulunterricht, denn unsere Diskussionen gingen weit über den Schulstoff hinaus. Ich habe als 14, 15jährige "Bild der Wissenschaft" und solche Sachen gelesen und Fachbücher gewälzt, um Beweise zu erbringen. Und ich weiß, ich hab mich schrecklich geärgert, wenn er Recht hatte, mich aber diebisch gefreut, wenn ich Recht hatte.


    Für so etwas ist heute kein Platz mehr. Natürlich war ich eher ein Einzelfall, wenngleich ich denke, dass meine ständigen, durchaus fundierten, Diskussionen mit ihm der Klasse auch zugute gekommen sind, und dennoch sehe ich so etwas heute nicht mehr. Alles ist angefüllt mit Lehrplänen, die unbedingt eingehalten werden müssen, mit Dingen, die man später im Leben meistens überhaupt nicht braucht. Kreativität ist da natürlich ebenfalls fehl am Platz.
    Und auch dieses eigenständige Denken, das selbstständige Lernen, den eigenen Weg gehen - dem keine Steine folgen, sondern ein "ja, mach doch, beweis es mir doch" - ist doch einem recht konformen Gebilde gewichen.


    Wahrscheinlich müssen wir da als Gesellschaft umdenken und unsere Kinder mehr herausfordern, anstatt sie mit allen möglichen Kursen zu fördern.

  • Hallo Tecret,


    vielen herzlichen Dank für Ihre Gedanken. Sie sprechen mir wahrhaft aus der Seele.

    Und auch dieses eigenständige Denken, das selbstständige Lernen, den eigenen Weg gehen - dem keine Steine folgen, sondern ein "ja, mach doch, beweis es mir doch" - ist doch einem recht konformen Gebilde gewichen.


    Wahrscheinlich müssen wir da als Gesellschaft umdenken und unsere Kinder mehr herausfordern, anstatt sie mit allen möglichen Kursen zu fördern.

    Ich finde es großartig zu lesen, welch wertvolle und wundervolle Erfahrungen Sie selbst während Ihrer Schulzeit gemacht haben. Genau das ist es - oder sollte es sein ^^


    Dennoch denke ich, dass wir, auch wenn wir uns von unseren Emotionen treiben oder beherrschen lassen, noch lange keine wirklich gefühlvollen Menschen sind. Wir werden rational erzogen und geprägt und auch wenn wir emotional sind, vertrauen wir oftmals nicht unserem wahren Gefühl, unserem Bauchgefühl, das wir auch Intuition nennen können.
    Die Gefühle, die uns beherrschen, die uns dann alles andere als rational erscheinen lassen, sind oftmals Gefühle, die auf Ängsten, auf Befürchtungen, auf Zweifeln basieren. Und das ist eben keine Intuition.
    Tief in unserem Innern tragen wir unsere wahren Gefühle und eine tiefe Weisheit.
    Viele finden leider keinen Zugang (mehr) dazu - weil sie zu rational geprägt sind und genau deshalb voller Ängste sind. Und dies verschließt uns vor unserer Kreativität und Freigeistigkeit....


    Ich denke auch, dass wir dringend umdenken sollten...


    Alles Gute und nochmals vielen Dank für Ihre berührenden Worte und Gedanken!
    Klara

  • Hallo Klara,

    Dennoch denke ich, dass wir, auch wenn wir uns von unseren Emotionen treiben oder beherrschen lassen, noch lange keine wirklich gefühlvollen Menschen sind. Wir werden rational erzogen und geprägt und auch wenn wir emotional sind, vertrauen wir oftmals nicht unserem wahren Gefühl, unserem Bauchgefühl, das wir auch Intuition nennen können.
    Die Gefühle, die uns beherrschen, die uns dann alles andere als rational erscheinen lassen, sind oftmals Gefühle, die auf Ängsten, auf Befürchtungen, auf Zweifeln basieren. Und das ist eben keine Intuition.

    damit könnten Sie in der Tat recht haben.
    Im Grunde eine fatale Mischung, denn so sind die meisten Menschen überhaupt nichts - weder rational noch intuitiv und im Grunde auch nicht emotional.
    Und ja, wir machen uns viel zu viele Gedanken darüber, was passieren könnte, wenn man ...
    Es sind jedoch keine rationalen Überlegungen, sondern eher Sorgen.


    Wenn das Kind das und das nicht kann / macht, bekommt es keinen ordentlichen Schulabschluss / kann nicht studieren / findet keinen Job.
    Damit fängt es an und zieht sich durch unser ganzes Leben.
    Wir machen uns permanent über irgendwas Sorgen, ziehen daraus scheinbar rationale Konsequenzen, und übertragen das auf unsere Kinder.


    Allerdings gibt es auch den umgekehrten Fall, in dem Eltern alles von ihren Kindern fernhalten, sie in Watte packen und in einer schönen, heilen Welt aufwachsen lassen. Dann sind sie erwachsen und werden schlagartig mit der Realität konfrontiert, mit der sie dann oft nicht zurechtkommen.


    Die Konsequenz kann eigentlich nur sein, sich nicht ständig über alles Sorgen zu machen, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren. Keine leichte Aufgabe! Aber definitiv einen Versuch wert. ;)

  • Hallo Tecret,


    so sehe ich das auch

    Die Konsequenz kann eigentlich nur sein, sich nicht ständig über alles Sorgen zu machen, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren. Keine leichte Aufgabe! Aber definitiv einen Versuch wert. ;)

    Definitiv! ^^ Ich denke immer wieder: Es hat schon einen Sinn, warum ich mich jetzt gerade in dieser oder jener Situation befinde. Auch wenn ich diesen Sinn nicht unbedingt gleich verstehe und erkenne. Das Leben konfrontiert uns immer wieder mit Dingen, mit Situationen, die uns herausfordern, in denen wir etwas lernen sollen, für uns. Ist nicht immer leicht, das auszuhalten und "Ruhe zu bewahren", aber von meiner Seite kann ich nur sagen, da ist was dran ;) .


    Herzlichst
    Klara

  • Hallo! Also ich persönlich finde es auch immer wieder erschreckend, wie wenig Kreativität bei manchen Kindern vorhanden ist. Und nicht nur bei Kindern. Schuld daran sind zum Einen natürlich der Mangel an Förderung mancher Eltern und zum Anderen auch der vermehrte Druck, dem die Kleinsten unter uns schon ausgesetzt sind. Dagegen ankämpfen können wir im Prinzip nur bei unseren eigenen Kindern und darauf hoffen, dass diese leistungsorientierte Gesellschaft eines Tages mal die Wichtigkeit von kreativem Denken und Handeln erkennt.

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