Hallo zusammen,
mein fast achtjähriger Sohn geht in die 2. Klasse einer brandenburger Grundschule. Wir sind erst vor gut einem halben Jahr in dieses Bundesland gewechselt, waren zuvor in NRW, wo er die erste Klasse noch abgeschlossen hat, mit einem guten Zeugnis.
Er wurde dort beschrieben als wortgewandt, guter Leser mit gutem Textverständnis, flüssiger SChrift etc. Auch Mathe lag ihm gut. Eigenständige Bearbeitung von Aufgaben und zügiges Lösen von Sachaufgaben wurde von der Lehrerin beschrieben. Aufgefallen ist im Schriftbereich immer schon der zögerliche Arbeitsbeginn, es bedurfte hier der gelegentlichen Ermutigung. Dann jedoch führte er die Aufgaben gewissenhaft aus. Seine Beteiligung war schon immer von seinem Interesse am Thema abhängig.
NAch dem Umzug begann es für ihn gut in der SChule. Er fügte sich, laut seiner Lehrerin, schnell ein, erlernte selbstständig die Schreibschrift (die hatten sie in NRW noch nicht begonnen, in Brandenburg wurde sie bereits in der 1. Klasse eingeführt), alles klang gut. Vor den Weihnachtsferien wurde es plötzlich merklich schlechter: Seine Konzentration ließ, laut Lehrerin, merklich nach, er ließ sich schnell ablenken, schaute aus dem Fenster, statt mit den Aufgaben zu beginnen - ein Störer war er dabei jedoch nie. Im Januar erfolgte das erste Lehrer- Eltern-Gespräch regulär im Rahmen der Halbjahreszeugnisvergabe. Dort sprach sie diese Dinge erstmalig bei uns Eltern an - uns war bis dahin nur aufgefallen, dass er in letzter Zeit sehr unkonzentriert und vor allem unmotiviert an den Hausaufgaben arbeitete und sehr viel Zeit für nur wenige Aufgaben benötigte. Im PRotokoll zu diesem Gespräch (bei uns anstelle des Halbjahreszeugnisses in Klasse 1 und 2) Wird jedoch noch alles als sehr gut/gut angekreuzt (Arbeit und sozialverhalten, Deutsch, Mathe, Sachkunde, Musik, Kunst und Sport) zumindest, was die Fähigkeiten angeht. Als "teilweise" angekreuzt wurden konzentriertes und aufmerksames Arbeiten, arbeiten in angemessenem Tempo (Arbeits- und Sozialverhalten), Regelbeachtung in der Rechtschreibung, selbstständige Kontrolle der Aufgaben, Nutzung von Wörterbuch und anderen Hilfsmitteln (in Deutsch) sowie sauberes und genaues Arbeiten (in Kunst) und die Beachtung festgelegter Spielregeln (in Sport).
Der Lehrerin war aufgefallen, dass mein Sohn sehr langsam arbeitet und daher gestellte Aufgaben häufig nicht in der vorgegebenen Zeit zu lösen vermochte (hier besonders Grundaufgaben Mathematik - Lehrerin sagte 10 Aufgaben an, die im Kopf gelöst und das Ergebnis im Heft notiert werden musste. Nach drei Tagen, an denen das gemacht wurde, gab es eine benotete Reihe - bis dahin nie schlechter als 3). Auch schien er häufig mit den Gedanken abwesend zu sein. Wir vereinbarten, die Grundaufgaben in Mathe mit ihm verstärkt zu üben und daran zu arbeiten, Aufmerksamkeit und Konzentration zu verbessern. Das ist die schulische Seite.
Wir haben also Aufgaben mit ihm geübt und, wie bisher auch, mit ihm Konzentrationsspiele gemacht (er mag z.B. Schach und Bauernskat ) , ihm so viel Lesestoff wie benötigt besorgt (er liebt Bücher und liest viel und schnell) und als Ausgleich seinen Sport (er spielt 2x die Woche Fußball).
Letzte Woche nun das nächste: Montags fand ich eine Sachkundearbeit in der Schulmappe - eine 5, 3/4 der Arbeit gar nicht bearbeitet... Am nächsten Tag ein Eintrag im Hausaufgabenheft - Wir müssen dringend über das Arbeitsverhalten ihres Sohnes sprechen! Das haben wir dann getan. Fazit: Mein Sohn hat das Arbeiten quasi komplett eingestellt in der Schule, schafft für eine Stunde gestellte Aufgaben nicht mal in 4 Stunden zur Hälfte, reagiert nicht oder nur unwesentlich auf Ansprache oder Motivationsversuche der Lehrerin, reagiert auf Tadel mit Schulterzucken oder Grinsen, schaut viel aus dem Fenster, selbst beim Lesen in der Klasse weiß er nicht, wo die Klasse gerade im Text ist, wenn er drankommt (obwohl er ein prima Leser ist).
Die Lehrerin erzählte, er benötige auf Nachfrage niemals Hilfe, habe auch alles verstanden - er arbeite einfach nicht und sie sei da ratlos, der Anreiz, nach elredigten Aufgaben ein Arbeitsblatt zu lösen, ein Bild zu malen oder in der Leseecke zu sitzen (eher eine Bücherkiste mit Heften und büchern, ich kenne den Inhalt nicht) wirke bei meinem Sohn nicht.
Mein Sohn - ich hatte vorher länger mit ihm gesprochen - erzählte, er wisse auch nicht, warum er nicht weiterarbeiten könne, es gäbe so viele andere Dinge zum Gucken. Die Zusatzaufgaben interessierten ihn nicht und überhaupt sei die Lehrerin oft so laut, sage dann Sätze wie: "Du bist aber auch zu nichts zu gebrauchen"...und da war ich schon schockiert. Auf meine Frage, wie er sich dann fühle, sagte er mir, er wolle sich dann ausruhen... Außerdem hänsele ihn seit einigen Wochen ein Mitschüler, er sage immer, er sei der schlechteste Schüler und das mache ihn traurig.
All diese Dinge habe ich der Lehrerin rückgemeldet und sie gab zu, oft "laut und polterig" zu sein, sie werde versuchen, das einzustellen. Von den Hänseleien des Mitschülers wusste sie nichts, versprach aber, mit dem Jungen zu sprechen, denn das sei ja nicht in Ordnung. außerdem gab ich zu Bedenken (ich konnte einfach nciht anders), dass mein Sohn sehr empfindlich auf Kritik seiner Person reagiere, jedoch recht gut auf Kritik bezüglich seines Verhaltens....Daraufhin schrieb sie sich sogar Formulierungen auf, die wir in solchen Situationen zu Hause verwenden und ich wusste nicht, ob ich mich über das Engagement freuen oder eher schockiert sein soll, dass das für sie so neu zu sein schien (sie ist schon bestimmt seit 20 Jahren im Schuldienst). Ich habe dann mit ihr vereinbart, dass wir uns um Anreize kümmern und sie diese mitträgt...
Konkret heißt das:
Mein Sohn und ich haben ein paar Dinge aufgeschrieben, an denen er arbeiten möchte:
Ich möchte schneller im Unterricht arbeiten - zügig mit den gestellten Aufgaben beginnen, vor der Fertigstellung nicht aus dem Fenster schauen und den Stift nicht weglegen; bei Problemen und Fragen der Lehrerin Bescheid geben.
Ich höre der Lehrerin zu und arbeite mit - mindestens 2x, so sein Vorschlag, melden pro Schulstunde.
Wenn ich meine Aufgaben frühzeitig fertig habe, darf ich in meinem Asterix-Heft lesen (haben wir nur zu diesem Zweck in der Klasse bei der Lehrerin hinterlegt).
Meine Lehrerin gibt mir jeden Tag eine Rückmeldung, wie ich mitgearbeitet habe und ich erzähle es meinen Eltern.
Das haben mein Sohn und seine Lehrerin unterschrieben - das war letzte Woche Mittwoch.
Seither gabe es 4 lachende Smileys ins Hausaufgabenheft. Er hat die Aufgaben überwiegend geschafft, leider noch ohne die Chance, in seinem Asterix-Heft zu lesen. Aber da bestärken wir ihn, es täglich zu versuchen, evtl. müssen wir seine Chance, wirklich darin lesen zu dürfen, noch erhöhen (z.B. wenn die Woche gut war, darf er darin lesen, es mit in den Hort nehmen oder so...aber dann brauchen wir jede Woche ein Neues ).
Ist das jetzt alles so richtig, wie wir das gemacht haben? Ich bin unsicher und frage mich, ob der derzeit scheinbare Erfolg wohl von Dauer sein wird oder schnell wieder nachlässt...bei der U10 gestern äußerte die Ärztin den Verdacht von ADS (aber warum kann er sich in bestimmten Bereichen dann so gut fokussieren und konzentrieren, z.B. wenn er ein Buch liest?), möchte aber noch 6 Wochen warten mit der Abklärung, um zu sehen, wie er sich weiterentwickelt.
Ich freue mich über Meinungen zu meinem Beitrag, vielleicht auch Erfahrungsberichten und weiteren Tipps.
Vielen Dank, wenn Sie bis hierher durchgehalten haben
LG
Andrea