Bewegungsorientierter Kindergarten
1. Definition und Entstehung des bewegungsorientierten Kindergartens
Bereits in den 1970er Jahren fiel führenden Wissenschaftlern auf, dass im Alltag zahlreicher Kinder ein eklatanter Bewegungsmangel vorherrscht. Schuld daran war neben der Technisierung der Freizeitaktivitäten auch ein Rückgang der bewegungsorientierten Freizeitangebote. Dabei gab es schon damals keinen Zweifel daran, dass Bewegung ein zentrales Element einer ganzheitlichen Entwicklung der Kinder ist. Folglich wurden Sportvereine initiiert, die sich unmittelbar an Kindergärten angliederten und dort das Bewegungsangebot in den Alltag integrierten.
An den wissenschaftlichen Hintergründen dieser Vorläufer heutiger bewegungsorientierten Kindergärten hat sich nichts geändert. Nach wie vor wird Bewegung als wichtiges Element einer ganzheitlichen Entwicklung betrachtet und sie als zentrale Handlung im kindlichen Alltag deklariert, weshalb ihre Notwendigkeit unumstritten ist. Außerdem gilt Bewegung als wichtiger Schritt auf dem Ziel zur Eigenständigkeit in allen, vorzugsweise natürlich in den motorischen Bereichen.
Folglich griffen im Laufe der Kindergartenweiterentwicklung zahlreiche Institutionen die Bedeutung der Bewegung auf und integrierten diese in den Kindergartenalltag. Dabei stehen nicht nur die individuelle Bewegungsförderung im Fokus, sondern auch die Psychomotorik und eine Sensibilisierung für Umwelt und Umfeld.
Da der bewegungsorientierte Kindergarten kein geschütztes Konzept ist, lässt sich die Anzahl heutiger Institutionen nicht genau benennen. Prinzipiell kann sich deshalb jeder Kindergarten, der Bewegung in seinen Alltag integriert und dieser einen festen Platz einräumt, sich als bewegungsorientierte Institution bezeichnen. Richtlinien, insofern sie denn existieren, orientieren sich am tatsächlichen Standort der Institution sowie dem definierten Rahmen des Bundeslands sowie natürlich an den vorherrschenden Bedürfnissen der zu betreuenden Kinder. Daraus ergeben sich durchaus konzeptionelle Unterschiede, wenngleich die bewegungsorientierte Raumgestaltung allen Einrichtungen dieses Schwerpunkts gemeinsam ist.
2. Menschenbild in bewegungsorientierten Kitas
Bezüglich ihres Menschenbilds richten sich bewegungsorientierte Kindergärten stark an den Weltanschauungen Piagets und Montessoris aus, so dass Elemente dieser pädagogischen Grundideen in fast allen bewegungsorientierten Einrichtungen vorzufinden sind. Je nach Trägerschaft können auch ein humanistisches, ein christliches oder ein anthropologisches Menschenbild vorherrschen.
Unabhängig davon werden Kinder im bewegungsorientieren Kindergarten als für ihre Entwicklung eigenverantwortlich betrachtet. Dabei wird die Aktivität als wichtiger Entwicklungsaspekt angesehen – Spiel und Bewegung sind nach dem Menschenbild des bewegungsorientierten Kindergartens zentrale Lernelemente.
3. Das pädagogische Konzept bewegungsorientierter Kinderbetreuung
Die Rahmenbedingungen des pädagogischen Konzepts bewegungsorientierter Kindergärten bildet die Grundannahme, dass Bewegung im Rahmen eines gesunden Lebens einen wichtigen Stellenwert einnimmt und deshalb im frühkindlichen Bereich als Bildungssektor wahrgenommen werden muss. So geht man davon aus, dass Kinder für eine gesunde und ganzheitliche Entwicklung zwingend ein adäquates Bewegungsverhalten an den Tag legen müssen, weshalb es zum pädagogischen Ziel wird, den Spaß an der Bewegung zu erhöhen und Freiräume für Bewegung zu schaffen. Aus diesem Grund werden die Räumlichkeiten in bewegungsorientierten Kindergärten bewegungsfreudig ausgestaltet, wobei auch hier Platz für Kleinstbewegungen wie Malen oder Basteln sein muss.
Als übergeordnetes Ziel definiert das pädagogische Konzept bewegungsorientierter Kindergärten die Schaffung eines positiven Verhältnisses zum eigenen Körper, den Kinder dank des Bewegungsangebots besser kennen und verstehen lernen. In Anlehnung an die enge Verbindung von Motorik und Psyche wird somit der Grundstein gelegt, mit Emotionen und Impulsen besser umzugehen.
Trotz der klar bewegungslastigen Ausrichtung versteht sich der bewegungsorientierte Kindergarten als ganzheitlich entwicklungsorientiertes Konzept, welches Elemente der Pädagogik Montessoris und Piagets integriert.
4. Zielgruppenausrichtung bewegungsorientierter Kindergärten
Der bewegungsorientierte Kindergarten spricht grundsätzlich alle Kinder gleichermaßen an, wobei die Altersstrukturen von den jeweiligen Einrichtungen und ihrem entsprechenden Angebot an Krippen- und Hortplätzen abhängt. Dabei richtet sich das Konzept vorrangig an Familien, die der kindlichen Bewegung einen hohen Stellenwert einräumen und sich entsprechend mit den Ideen dieser Konzeption identifizieren können. Die meisten Kindergärten dieser Ausrichtung arbeiten nach einer Art Einzugsgebiet und geben demnach Kindern aus der unmittelbaren Wohnumgebung den Vorzug. Platziert sind sie bevorzugt in innerstädtischen Gebieten. So richtet sich der bewegungsorientierte Kindergarten nicht zuletzt an Kinder, die aus einem bewegungsarmen Umfeld stammen.
5. Der Tagesablauf
Verständlicherweise ist der Tagesablauf im bewegungsorientierten Kindergarten stark durch den Bewegungsaspekt geprägt. Dies bedeutet, dass sich Bewegung im Tagesablauf dieser Kindergärten in allen Tätigkeitsfeldern widerspiegelt. Dabei dürfen die Kinder einen strukturierten Tagesablauf genießen, da dieser ihnen Sicherheit vermittelt. Dies stellt jedoch keine Besonderheit des bewegungsorientierten Kindergartens dar, sondern sollte von pädagogisch sinnvoll ausgerichteten Institutionen als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Wie genau sich die Tagesstruktur darstellt, ist natürlich von den Öffnungszeiten abhängig. Gewisse Kriterien lassen jedoch eindeutig auf einen bewegungsorientierten Rahmen schließen:
Freispiel
Beim freien Spiel im bewegungsorientierten Kindergarten steht den Kindern eine reiche Auswahl an Bewegungsmotivatoren zur Verfügung. Toberaum, Mal- und Bastelecken sowie ein interessantes Außengelände, welches zum Klettern, Schaukeln usw. einlädt, dominieren das Bild. Damit soll den Kindern der Spaß an der Bewegung vermittelt werden, woraufhin sie sich frei für vorhandene Bewegungsangebote entscheiden.
Gelenktes Spiel
Auch im bewegungsorientierten Kindergarten gibt es gezielte Angebote, die aber ebenfalls das Thema Bewegung in den Fokus stellen. Turnstunden mit Materialien, Bewegungsspiele oder Hallensport seien hierfür als Beispiele genannt.
Darüber hinaus existieren in derart spezialisierten Institutionen auch anderweitige Angebote wie Vorschulprojekte und gemeinsame Essenszeiten, die allerdings in ihrer Erscheinungsform von den jeweiligen Öffnungszeiten abhängen.
6. Vorteile des bewegungsorientierten Kindergartens
- das Thema Bewegung wird hier fokussiert, was in der heutigen Zeit des vorherrschenden Bewegungsmangel eine echte Bereicherung ist
- Kinder erfahren ein positives Heranführen an Bewegungsangebote
- der natürliche Bewegungsdrang von Kindern wird gestillt
- bewegungsorientierte Kindergärten haben gesundheitlich positive Effekte und beugen Übergewicht und Haltungsschäden vor
- das kindliche Immunsystem wird durch die häufigen Aufenthalte im Freien gestärkt
- Eltern werden aktiv in die Kindergartenarbeit eingebunden
7. Nachteile des Bewegungsorientierten Kindergartens
- nur wenige Kindergärten verfügen über die geeigneten Räumlichkeiten, um die Bewegungsorientierung angemessen auszuarbeiten
- bewegungsorientierte Kindergärten benötigen fachgerecht ausgebildetes Personal, welches leider nur mangelhaft zur Verfügung steht
- die Entscheidung für einen bewegungsorientierten Kindergarten setzt die Identifikation der Eltern mit diesem Konzept voraus
- die Anschaffung der notwendigen Bewegungsmaterialien stellen einen nicht unerheblichen Kostenfaktor dar
- aufgrund der aktiven Elterneinbindung mischen viele verschiedene Personen im Kindergartenalltag mit
8. Trägerschaft und Kosten
Prinzipiell kann ein bewegungsorientierter Kindergarten in allen Institutionen initiiert werden, die die entsprechenden Räumlichkeiten vorweisen. Damit ist der bewegungsorientierte Kindergarten ein Betreuungsmodell, welches nicht einem speziellen Träger obliegt. Insofern stehen
- freie Träger,
- kirchliche Träger sowie
- Städte, Kreise und Gemeinde
zur Debatte. Die konzeptionelle Anbindung an die Montessoripädagogik prädestiniert Montessorieinrichtungen natürlich überdurchschnittlich für bewegungsorientierte Kindergärten, so dass man hier häufig auf der Suche nach einer entsprechenden Institution fündig wird.
Die anfallenden Elternbeiträge richten sich nach der allgemeinen Konzeption der Kindertageseinrichtungen und sind primär trägerabhängig. Zwischen 100 und 150 Euro fallen im Durchschnitt für einen Regelplatz an.
9. Bewegungsorientierte Schulsysteme
Bewegungsorientierte Schulen gibt es in dieser speziellen Konzeptionierung nicht, wohl aber solche Schulsysteme, die der Bewegung einen hohen Stellenwert einräumen. Besonders interessant sind Schulen, die einen Sportschwerpunkt aufweisen, was bereits bei Grundschulen durchaus keine Seltenheit ist. In diesen Einrichtungen wird eine zusätzliche Sportstunde pro Woche in den Stundenplan integriert. Außerdem sind die Schulhöfe mit bewegungsmotivierenden Spielgeräten ausgerüstet. Wer eine solche Schule nicht in Betracht zieht, der kann eine Alternative in den Montessorischulen finden, die ebenfalls eine gewisse Bewegungslastigkeit aufweisen.
Autorin: Verena Fischer,
staatlich geprüfte Erzieherin mit Kneipp-Gesundheitsausbildung für Kinder
Letztes Update: Januar 2024
Erstelldatum: Mai 2016
Recherchierte Literatur:
Psychologie (Lehr-/Fachbuch) von Hermann Hobmair bei Bildungsverlag EINS
Pädagogik (Lehr-/Fachbuch) von Hermann Hobmair bei Bildungsverlag EINS
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