Legasthenie und Dyskalkulie

Wenn Buchstaben oder Zahlen ein Buch mit sieben Siegeln bleiben

Das Lesen und Schreiben wird zur Qual, weil immer wieder Buchstaben vertauscht werden und es einfach nicht gelingen will sie zu Wörtern zusammenzusetzen. Die Rechtschreibung macht Probleme, weil so viele Wörter anders geschrieben werden als man sie ausspricht. Zahlen und Mengen bleiben abstrakte Begriffe und Rechenoperationen können nicht nachvollzogen werden.

 

Kind schreibt

 

Legastheniker und Menschen mit Dyskalkulie haben es nicht leicht im Alltag und bereits in der Schule fallen sie unangenehm auf, weil sie dem Unterricht nicht folgen können. Dabei haben sie keinen geringeren Intelligenzquotient als ihre Mitschüler, sondern lediglich eine Teilleistungsstörung im mathematischen oder sprachlichen Bereich. Wichtig ist, dass Eltern Anzeichen früh erkennen und ihr Kind testen lassen. Eine gesicherte Diagnose und gezielte anschließende Fördermaßnahmen können dafür sorgen, dass die Probleme im Alltag nicht mehr so stark ins Gewicht fallen. Bei Legasthenie besteht zudem in der Grundschule die Möglichkeit, dass Rechtschreibfehler nicht in die Leistungsbewertung einfließen.

 

Handelt es sich bei Legasthenie und Dyskalkulie um Krankheiten und wie entstehen sie?

Eine Lese-Rechtschreib-Schwäche und eine Rechenschwäche gelten nicht als Krankheiten im engeren Sinn. Trotzdem wurden sie von der Weltgesundheitsorganisation WHO in deren Katalog aufgenommen.

Von Legasthenie sind etwa zehn Prozent der Menschen weltweit betroffen, bei Dyskalkulie sind es fünf bis sieben Prozent, wobei es je nach Studie starke Abweichungen gibt.

Die Ursachen für Legasthenie und Dyskalkulie sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Bei beiden Teilleistungsstörungen ist aber eine genetische und damit erbliche Veranlagung sehr wahrscheinlich. Gerade bei der Legasthenie spielen noch weitere Ursachen bzw. Risikofaktoren eine Rolle, nämlich

 

  • Neurologische Abweichungen: Die Hirnregionen, die für die Sprache verantwortlich sind arbeiten anders,
  • Störungen in der visuellen und/oder auditiven Wahrnehmung
  • Sprachentwicklungsverzögerungen (sogenannte „Late Talkers“ haben ein erhöhtes Risiko eine Legasthenie zu entwickeln),
  • Der Umgang mit Medien im häuslichen Umfeld: Kinder, denen nur selten vorgelesen wird und die stattdessen digitale Medien konsumieren entwickeln eher eine Lese-Rechtschreibstörung als andere Kinder

 

Auf welche Anzeichen sollten Eltern achten?

Bei einigen betroffenen Kindern fallen die Teilleistungsstörungen schon im Kindergarten auf, bei anderen, bei denen die Probleme nicht so stark ausgeprägt sind, erst im Grundschulalter. Manchmal gelingt es den Kindern zunächst ihre Schwächen zu kompensieren oder zu verstecken. So können sie im Zahlenraum bis 10 ihr mangelhaftes Zahlen- und Mengenverständnis noch durch das Abzählen an den Fingern ausgleichen. Oft fehlt ihnen aber bereits im Vorschulalter die Fähigkeit, einer Menge die richtige Zahl zuzuordnen. Auch fällt es ihnen schwer, Mengen simultan zu erfassen, also zum Beispiel ohne abzuzählen genau oder zumindest ungefähr sagen zu können, wieviel Stifte auf dem Tisch liegen oder wieviele Augen ein Würfel zeigt.

In der Schule können sie dann einfache Rechenoperationen nicht ausführen, weil ihnen das grundsätzliche Verständnis dafür fehlt. Daher sind auch mathematische Transferleistungen nicht möglich. Für Kinder mit einer Dyskalkulie ist es kein Widerspruch, wenn 2 + 2 = 4 auf ihrem Blatt steht und daneben 3 + 3 = 4. Zudem benötigen sie immer visuelle Hilfsmittel um eine Rechnung aufstellen zu können.

 

Bei Legasthenikern fallen folgende symptomatische Schwächen auf:

  • ähnlich aussehende Buchstaben werden vertauscht (z.B. d und b),
  • Buchstaben und Laute werden nicht oder nur fehlerhaft miteinander in Verbindung
  • Buchstaben können nur isoliert betrachtet und nur schwer als ein sinntragendes Wort wahrgenommen werden,
  • Rechtschreibregeln werden nur schwer oder gar nicht verinnerlicht und angewendet,
  • das sinnentnehmende Lesen fällt schwer,
  • das Lesetempo ist niedrig.

 

Welche Diagnose- und Therapiemöglichkeiten gibt es?

Eine Diagnose ist bei beiden Teilleistungsstörungen nur in enger Zusammenarbeit zwischen Eltern, Lehrern und Therapeuten bzw. Psychologen möglich. Beide Lernschwächen müssen von anderen Krankheiten oder Umweltfaktoren abgegrenzt werden. So können Kinder mit einer allgemeinen Lernbehinderung oder einem geringen Intelligenzquotient zwar auch Probleme beim Rechnen und/oder Schreiben bzw. Lesen entwickeln, aber in diesen Fällen handelt es sich bei den kognitiven Problemen nicht mehr nur um Teilleistungsstörungen.

Im Zuge der Diagnoseverfahren wird daher immer auch ein IQ-Test durchgeführt. Kinder mit Legasthenie oder Dyskalkulie haben häufig einen hohen IQ, mindestens aber einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten. Die mathematischen bzw. schriftsprachlichen Leistungen müssen also deutlich von der allgemein gemessenen Intelligenz abweichen, damit eine Dyskalkulie oder Legasthenie vorliegt. Weiter liegen die Leistungen im Vergleich mit Gleichaltrigen im unteren Viertel der gesamten Testergebnisse.

Auch soziale Faktoren wie ein schlechter Unterricht oder Schulangst sowie krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen müssen ausgeschlossen werden, bevor eine Lese-Rechtschreibstörung oder eine Rechenschwäche sicher diagnostiziert werden kann.

Im Hinblick auf die Therapie ist es wichtig, dass zunächst die individuellen Lernprobleme genau analysiert werden. Gerade bei der Dyskalkulie stecken hinter den vermeintlichen Rechenfehlern ganz unterschiedliche Denkmuster. Aus diesem Grunde können auch standardisierte Förderprogramme oder Nachhilfeunterricht wenig bewirken, da hier nicht auf die Ursachen der Teilleistungsstörungen eingegangen werden kann.

Was die Finanzierung von Lerntherapien angeht, so werden Eltern in Deutschland leider ziemlich allein gelassen. Die Krankenkassen übernehmen zwar die Kosten von Therapien von Folgeerscheinungen wie Schulangst oder andere sozial-emotionale Erkrankungen, nicht jedoch die Therapie selbst. Im Einzelfall besteht jedoch die Möglichkeit, beim jeweiligen Jugendamt Fördergelder zu beantragen.

Sinnvoll sind ganzheitliche Therapien, die sowohl bei den Symptomen als auch bei den psychischen Begleiterscheinungen ansetzen. Viele Kinder die unter einer Dyskalkulie oder Legasthenie leiden, haben ein geringes Selbstwertgefühl, sind frustriert und reagieren anderen gegenüber aggressiv. Häufig verweigern sie den Schulbesuch oder leiden unter sozialer Isolation. Dann sollte auf jeden Fall ein Kinderpsychologe aufgesucht werden. Darüber hinaus können ergotherapeutische Maßnahmen erfolgreich sein.

Aber: Sowohl Legasthenie als auch Dyskalkulie sind nicht heilbar. Die Kinder können lediglich Strategien lernen, wie sie damit umgehen können und erfahren, welche Möglichkeiten der Kompensation es gibt.

 

Teilleistungsstörungen und Notengebung

Inwieweit eine diagnostizierte Legasthenie bei der Leistungsbewertung berücksichtig wird, hängt von der Schule und vom jeweiligen Bundesland ab, denn Bildungsfragen sind Ländersache. In den meisten Grundschulen ist es möglich, dass die Rechtschreibung bei betroffenen Kindern nicht in die Bewertung eingerechnet wird. Die meisten weiterführenden Schulen lassen sich darauf nicht ein. Wichtig ist, dass die Lehrer informiert sind um gemeinsam mit den Eltern und dem Schüler individuelle Lösungen zu finden.

Kinder mit Dyskalkulie hingegen stoßen zur Zeit noch auf wenig Entgegenkommen von Seiten der Lehrer und Schulleitungen. Sie müssen leider häufig die mit den Problemen im mathematischen Bereich einhergehen schlechten Noten hinnehmen.

 

Übersichtstabelle zu Legasthenie und Dyskalkulie:

Tabelle zu Legasthenie und Dyskalkulie