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Kooperation statt Strafe: Wie Kleinkinder aus ihrem Verhalten lernen können

von Redaktion

Angst vor Strafe

Die Kindererziehung kennt verschiedene Ansätze und Stile, die sich grundlegend voneinander unterscheiden können. Die Strafe als Erziehungsmittel ist in einigen Erziehungsstilen auch heute noch verankert. Das Konzept löst aber kontroverse Diskussionen aus und wird aus entwicklungspsychologischer Perspektive inzwischen als bedenklich eingestuft.

 

Warum Eltern bestrafen

In ihrer grundlegenden Form hat Strafe nichts damit zu tun, dass Eltern böse auf ihr Kind sind oder sich sogar an ihm rächen möchten. Eine Strafe wird in der Erziehung herangezogen, um ein Kind auf Fehlverhalten hinzuweisen und ihm durch eine Konsequenz zu vermitteln, dass dieses Verhalten nicht gewünscht ist. Die Grundannahme besteht darin, dass Kinder aus ihrem Fehlverhalten lernen, wenn sie mit der Strafe und damit mit einer unangenehmen Konsequenz konfrontiert werden. Die Strafe soll Kindern ihr Fehlverhalten abgewöhnen und sie stattdessen an gesellschaftstaugliche Grundregeln wie Respekt, Rücksichtnahme und Anstand heranführen. Als Strafmaßnahme wird eine unangenehme Konsequenz auferlegt oder eine angenehme Konsequenz vorenthalten.

Körperliche und seelische Gewalt als Strafe sind in Deutschland und in 15 weiteren EU-Ländern verboten. Am 06. Juli 2000 hat der Bundestag mit einer großen Mehrheit das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ verabschiedet. Doch auch gewaltfreie Strafen lösen bei Entwicklungspsychologen Psychologen Bedenken aus. Ein Konsens ist bisher nicht gefunden, doch kontroverse Diskussionen beschäftigen sich immer öfter mit der Forderung, Strafen als Erziehungsmethode konsequent abzuschaffen und stattdessen Alternativen aufzuzeigen, wie Erziehungsarbeit einen konstruktiven und für Kinder entwicklungspsychologisch förderlicheren Weg einschlagen kann.

 

Warum Strafen vor allem Kleinkindern schaden

Kleinkinder erleben vor allem im sozialen Bereich eine enorme Entwicklung. Sie finden ihren Platz in sozialen Strukturen wie dem Familienverband, Betreuungseinrichtungen und Freundeskreisen. Damit einhergehend erlernen sie grundlegende Fähigkeiten im sozialen Miteinander. Die Erziehungsarbeit mit dem Kind beinhaltet in dieser Zeit die Vermittlung von sozialverträglichen Werten und Verhaltensmustern.

Die Reflexion des eigenen Verhaltens ist eine Kernkompetenz, denn nur damit kann eine Kausalität zwischen dem eigenen Verhalten und den erlebten Reaktionen hergestellt werden. Doch gerade in dieser Hinsicht können Strafen einen eher destruktiven Effekt auf Kleinkinder haben.

Kinder, deren vermeintliches Fehlverhalten durch eine Strafe geahndet wird, erleben die Erziehungsperson in einer Machtposition, die genutzt wird, um auf das Verhalten des Kindes zu reagieren. Beim Kind wird dadurch in erster Linie nicht die gewünschte Reflexion ausgelöst, sondern negative Gefühle wie Demütigung, Verlassens- und Versagensängste und Scham.

Aus einer Strafe, so die Einschätzung von Entwicklungspsychologen, lernt das Kind kein sozialverträgliches Verhalten, sondern im Gegenteil eher schädliche Glaubenssätze, die sein Sozialverhalten in Zukunft negativ beeinflussen können.

 

Was das Kind wirklich lernt:

  • Ich darf keine Fehler machen

  • Wenn ich mich meinen Eltern widersetze, verliere ich ihre Zuneigung

  • Erwachsene dürfen meine Grenzen überschreiten

  • Stärkere dürfen ihre Macht über Schwächere ausüben, um ihre Interessen durchzusetzen

  • Kooperation mit anderen Menschen erreicht man durch Gewalt, Zwang, das Entziehen oder Gewähren von Privilegien

 

(Quelle: babelli.de)

 

Je nach Charakter des Kindes regen Strafen und die daraus resultierenden Gefühle zu sehr unterschiedlichen Reaktionen an. Die Reflexion des eigenen Verhaltens und die gewünschte logische Verknüpfung mit einem sozialverträglicheren Verhalten gehört in der Regel allerdings nicht dazu. Der Auslöser sind immer die empfundene Demütigung und Hilflosigkeit gepaart mit der Angst, die Zuneigung und den Schutz der Erziehungspersonen zu verlieren.

 

Wie Kinder auf Strafen reagieren:

Kinder mit einem bereits gut entwickelten Selbstbewusstsein und einem starken eigenen Willen reagieren häufig mit

  • Wut und Aggression, um der Demütigung und Hilflosigkeit zu begegnen

  • Dem Wunsch nach Rache, um sich aus der untergeordneten Position wieder herauszumanövrieren

 

In beiden Fällen entsteht durch das erlebte Verhalten und die eigene emotionale Reaktion häufig ein starker innerer Konflikt. Das Kind fühlt sich zerrissen zwischen dem Wunsch, sich gegen die Unterdrückung durch die Erziehungsperson aufzulehnen und der tiefen Überzeugung, dass gerade diese Person ihre emotionale Stütze und engste Bezugsperson ist.

 

Kinder mit einem schwach ausgeprägten Selbstbewusstsein und starker emotionaler Unsicherheit reagieren häufig mit

  • Selbstzweifeln und der Überzeugung, nicht gut genug zu sein und die Strafe verdient zu haben. Dieser Glaubenssatz kann sich tief verankern und zu lebenslangen Selbstzweifeln und einem geringen Selbstwert führen

  • Verlustängsten, wenn das Fehlverhalten in einem Entzug der elterlichen Zuneigung endet

  • Vertrauensverlust gegenüber den Eltern. Das gilt insbesondere dann, wenn ein offen begangenes oder eingestandenes Fehlverhalten mit einer Strafe geahndet ist. Die Kinder verknüpfen ihre Ehrlichkeit mit einer negativen Reaktion der Eltern und werden in Zukunft eher versuchen, ihr Fehlverhalten zu vertuschen und sich nicht mehr vertrauensvoll an die Eltern wenden, wenn sie Hilfe oder Führung benötigen.

 

Entwicklungspsychologen weisen darauf hin, dass die negativen Emotionen, die Strafen auslösen können, die Fähigkeit überlagern, das eigene Verhalten zu reflektieren und positive Verhaltensalternativen zu entwickeln und mit der erlebten Situation zu verknüpfen. Strafen als Erziehungsmittel können die gewünschte Reflexion also nicht nur nicht anregen, sie blockieren sie sogar.

Hinzu kommt die Erkenntnis, dass die meisten Strafen das Fehlverhalten nicht spiegeln, sondern den Grund für eine Konsequenz verschleiern. Nur, wenn die Strafe eine für das Kind nachvollziehbare Folge seines Handelns ist, kann eine Kausalität hergestellt und damit ein Lerneffekt erzielt werden.

 

Eine konstruktive Beziehung auf Lösungssuche: Alternativen zur Strafe in der Erziehung

Damit aus sinnentleerten Strafen konstruktive Verhaltensregeln und Orientierungspunkte werden, sollte aus der Erziehung eine Beziehung werden, die auf einem lösungsorientierten Miteinander resultiert. Es gibt Alternativen zu Strafen, die die soziale Entwicklung von Kleinkindern fördern und gleichzeitig ihr Selbstwertgefühl stärken.

 

  1. Die Ursache für das Verhalten verstehen

 

Das Fehlverhalten eines Kindes hat eine Ursache. Es sieht sich in einem Konflikt, in dem ihm ein sozialverträglicher Lösungsansatz fehlt. Erziehungspersonen sollten zunächst versuchen, den Konflikt hinter dem Verhalten zu verstehen und zu begreifen, warum das Kind den Lösungsweg gewählt hat.

Fehlte ihm eine konstruktivere Idee? War es mit dem Konflikt überfordert? Hat es in einer anderen Situation ein Verhalten erlernt, das es auf diesen Konflikt übertragen hat?

Wenn Erziehungspersonen den Hintergrund eines Fehlverhaltens verstehen, stehen konstruktive Lösungsmöglichkeiten offen.

 

  1. Den Konflikt in ruhigere Gewässer bringen

 

Fehlverhalten erhitzt die Gemüter auf beiden Seiten. Das Kind sieht sich in einer Konfliktsituation, die es nicht zu lösen vermag und die Bezugsperson reagiert mit Unverständnis, Ärger, Enttäuschung oder Wut. Um die Situation aus dieser emotional destruktiven Konstellation zu führen, sollte Ruhe einkehren. Eltern sollten sich darum bemühen, gemeinsam mit dem Kind zur Ruhe zu kommen, um anschließend konstruktiv kommunizieren zu können.

 

  1. Gemeinsam analysieren und Lösungen suchen

 

Kinder können lernen, wenn sie Hintergründe und Kausalitäten verstehen. Erziehungspersonen sollten gemeinsam mit dem Kind analysieren, warum sein Verhalten im sozialen Kontext auf Kritik stößt. Dabei ist wichtig, den Erfahrungshorizont des Kindes zu berücksichtigen und Kritik so aufzuarbeiten, dass sie verständlich wird.

Damit ein Lerneffekt erzielt wird, sollte das Kind konkrete Verhaltensmuster und Lösungsansätze an die Hand bekommen, die es auf künftige Situationen mit ähnlichem Hintergrund anwenden kann.

In Konfliktsituationen mit Kindern ist eines wichtig: Die kleinen Persönlichkeiten sind noch dabei, soziale Kompetenzen auszubilden und zu lernen. Dies geht nicht ohne Konflikte mit Lernpotenzial. Damit Kinder in der Lage sind, aus ihren Fehlern zu lernen, brauchen sie die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Diese Chance wünschen sie sich von ihren Bezugspersonen. Kinder haben den Wunsch, mit ihrem Umfeld zu kooperieren und sich in soziale Strukturen einzufügen. Wenn Erziehungspersonen diesen Wunsch verstehen und ihm nachkommen, können Kinder aus Konflikten lernen und ein gesundes Sozialverhalten entwickeln.

 

Bildquelle:

Abbildung 1: @ geralt (CCO-Lizenz) / pixabay.com

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