Unterstützung im Alltag mit Kindern - fühle mich überfordert

  • Hallo,
    ich bin in letzter Zeit ziemlich Überfordert mit der Trotzphase meiner Tochter. Sie schafft es bei einem Trotzanfall schon mal, eine Stunde zu schreien, was dann in ein nervtötenden Krächzen in immer gleicher Tonlage übergeht. Mir wurde vom Kinderarzt gesagt, ich bräuchte keine Hilfe. Sie wäre ein Superkind, was sie auch wirklich ist, und ich solle einfach konsequent bleiben. Er läßt jedoch außer Acht, daß der Wut-, Trauer-, Schreianfall eben so lange dauert und daß mir die freche Maus einfach hinterherkommt, wenn ich seinen Rat befolge und versuche die Situation für eine "Pause" zu verlassen bzw. die kleine Dame mit dem Hinweis auf "wenn Du Dich wieder beruhigt hast, kannst Du gerne wieder zu mir kommen" für einen Moment in ihr Zimmer zwangsversetzen will.
    Die Situationen sind in den letzten 4 Wochen subjektiv empfunden weniger aber nicht weniger heftig geworden. Hinzu kommt, daß ich seit 2 Monaten wieder 4 Tage die Woche arbeiten gehe und mich die Nebenbelastungen, wie Haushalt und Wäsche, wirklich fertig machen. Ich schaffe es oft nicht, auch wenn die Mäuse brav im Bett liegen. Ich gehe dann meist selbst ins Bett. Mein Mann ist in letzter Zeit auch so ausgelaugt und fertig. Er ist ein Traummann, der mich immer unterstützt hat. Nur, seit ich meinen Aufgaben nicht mehr gerecht werde, kann er halt auch nicht mehr tun, als er halt tun kann.
    Hinzu kommt, daß ich (unsichtbar: meint: mir fehlt kein Arm oder Bein) Schwerbehindert bin und einfach keine Art der Unterstützung für mich finde. Um eine Haushaltshilfe habe ich mich im Moment immer noch gedrückt, da wir 550 Euro im Monat für die Kinderbetreuung ausgeben und wenig finanziellen Spielraum haben. Ich habe auch kein Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis, so daß mir eine finanzierte Unterstützung wohl auch nicht zusteht. Ein Symptom meiner Behinderung ist komplette Stressintoleranz und chronische Schmerzen. Ich würde alle Medikamente der Welt von meinen Ärzten bekommen, die, teilweise unter schwersten Nebenwirkungen, auch helfen - aber eben diese Nebenwirkungen lassen sich mit einem intakten Familienleben kaum vereinbaren.
    Mein Hauptproblem ist - daß ich das Problem bin. Die Kinder sind toll, der Mann ist toll - und ich empfinde mich als der Problemverursacher. Ich würde meiner Familie und mir gerne Helfen - weiß aber nicht so recht wie. Mein Rentenantrag ist noch auf der Reise beim Rentenversicherungsträger - vlt. gibt es dann etwas finanziellen Spielraum. Ich komme beruflich aus dem sozialen Bereich - kenn eigentlich alle Netze - aber nichts scheint so recht zu mir zu passen. Ich bin erschöpft und ich bräuchte Zeit um mich ab und zu ausruhen zu können. Ha, ha. Hört sich so geschrieben an wie eine Lachnummer und könnten viele von Euch bestimmt auch gebrauchen.
    Bitte beschimpft mich jetzt nicht, daß ich überhaupt Kinder bekommen habe. Ich habe mich erst vor ca. einem Jahr mit meinen Schädigungen auseinandergesetzt. Ich hatte das Ganze, wohl auch durch starke Amnesien, lange verdrängt und auch ohne Kinder nicht so wahrgenommen. Arbeiten - nach Hause kommen - schwere Medikamente nehmen - schlafen - wieder Arbeiten. Ab und an mal ein bißchen Lebensqualität. Da hat ganz gut geklappt. Ich dachte nicht wirklich, daß das ganze Familienprojekt so anstrengend wird.
    Vielleicht habt ihr ja Anregungen für mich, wie ihr Euch entlastet und was Entlasten könnte.
    Lieber Gruß
    Summer

  • Liebe Summer,


    ich danke Ihnen von Herzen für Ihre offenen Worte, die mich sehr berührt haben. Ihr Bericht stimmt mich gleichzeitig nachdenklich und traurig, denn Sie sind sich durchaus Ihrer Probleme bewusst und bitten um Hilfe, ohne bislang eine solche gefunden zu haben. Dennoch möchte ich Sie darin bestärken, weiterhin so aktiv nach Lösungen zu suchen, denn das ist ein wichtiger Schritt, um tatsächlich eine positive Entwicklung zu erreichen.


    Es hat mich etwas erschreckt, dass Sie sich selbst als das große Problem in Ihrer Familie wahrnehmen, denn eine solche Verantwortung lastet schwer auf Ihren Schultern. Ihre Rahmenbedingungen sind mit einem Job im sozialen Bereich, zwei kleinen Kindern, einem Haushalt und noch dazu einer Erkrankung schlichtweg wenig optimal und bergen viel Potenzial für Überforderungen. Es darf sich niemand anmaßen, Sie für Ihre Entscheidung für eine Familie mit Kindern zu verurteilen, denn Kinderwunsch ist kein Plan, den man einfach ad acta legt, sondern eine Lebenseinstellung, die jedem Mensch, gesund oder krank, zusteht. Und ich bewundere Sie dafür, dass Sie derart frei zu Ihrer Überforderung stehen können, Ihre Situation reflektieren und sich aktiv um Hilfestellung bemühen. Dazu gehen Sie auch noch Wege im Umgang mit der Trotzphase Ihrer Tochter - für all das haben Sie sich absoluten Respekt verdient.


    Inwieweit Ihre Behinderung einen Rentenanspruch begründet oder mit der Erteilung von Merkzeichen einhergehen müsste, kann ich von hier aus nicht beurteilen, allerdings sehe ich die zwingende Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betreuung für Sie und Ihre Familie, damit genau diese Ungeklärtheiten an einer Stelle zusammenlaufen. Als Sozialarbeiterin haben Sie sicher schon etwas von der Familienhilfe gehört. Dieses Hilfekonzept wird häufig fälschlicherweise in den Rahmen von Erziehungsschwierigkeiten eingeordnet, ist aber eigentlich ein ganzheitlicher Ansatz, der schlichtweg bei familiären Problemlagen, und die können auch finanzieller oder gesundheitlicher Natur sein, seinen Einsatz findet. Auf den Informationsseiten bei Kindererziehung.com gibt es unter http://www.kindererziehung.com/gesundheit/familienhilfe.php einen interessanten Beitrag zur Familienhilfe, wo Sie sich näher informieren könnten. Ich denke, eine solche Familienhilfe könnte Ihnen bei der Minimierung der Belastungssituationen helfen, zumindest aber Kontakte zu den in Ihrem Fall kompetenten Stellen vermitteln. Alternativ käme eine Familienberatungsstelle als Koordinator der verschiedenen Notwendigkeiten in Betracht. Ich möchte Sie eindringlich bitten, zu einer dieser beiden Institutionen Kontakt aufzunehmen, damit genau die Hilfe anrollt, die Sie sich so dringend wünschen. Manchmal wirkt eine neu festgelegte Tagesstruktur Wunder oder aber eine Umstrukturierung von Arbeits- und Betreuungszeiten - oft wird man selbst sozusagen "betriebsblind" für die reellen Möglichkeiten und braucht lediglich den Anstoß durch einen externen Betrachter. Manchmal reicht es aber auch schon, kleine Unzulänglichkeiten einfach hinzunehmen. Meiner Erfahrung nach schafft ein bisschen von allem eine deutliche Entlastung: man akzeptiert, dass nicht alles perfekt sauber ist und stellt einen klar strukturieren Zeitplan für jeden Tag auf, der Arbeits-, Spiel- und Entspannungszeiten beinhaltet. Mit einem Wochenplan können Sie dann die Hausarbeit auf die einzelnen Tage verteilen. Dabei sollte man aber bewusst den Sonntag für schöne gemeinsame Erlebnisse frei halten und auch die einzelnen Wochentage nicht bis in die späten Abendstunden mit Arbeit vollpacken.


    Die Trotzphase Ihrer Tochter setzt der aktuell ohnehin schon schweren Situation sozusagen die Krone auf, wobei ich auch hier wirklich den Hut vor Ihnen ziehe, da Sie auch in diesem Problem bereits nach Hilfe Ausschau gehalten haben. Sicher ist der Rat des Kinderarztes, der Kleinen die Aufmerksamkeit zu entziehen, durchaus ein gangbarer Weg, allerdings hat er nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Eine Stunde lang zu schreien ist ja ein Ausdruck einer Gemütsverfassung und tut der kleinen Kinderseele nicht gut. Kinder sind sensibel gegenüber Spannungen und Stimmungslagen und ich glaube, Ihre Tochter nimmt die insgesamt angespannte Situation und Ihre Überforderung wahr, ohne diese subtile Spannung begreifen oder zuordnen zu können. Unbewusst wirkt sich dies dann auch auf ihr Verhalten und ihre Frusttoleranz und -bewältigung aus. Vielleicht können Sie versuchen, diese Frustschleife zu unterbrechen. Natürlich sollen Sie der Kleinen jetzt nicht einfach ihren Willen lassen, aber wenn sie das nächste Mal zu schreien beginnt, könnten Sie statt den Kontakt abzubrechen diesen vielleicht ganz bewusst aufbauen. Gehen Sie runter in die Hocke, mit ihr auf Augenhöhe, fassen Sie die Kleine an den Händen und schauen Sie ihr in die Augen. Wahrscheinlich wird Ihr verändertes Verhalten bereits bewirken, dass der Frust durch die Verwunderung unterbrochen wird. Dann ist Ihre Tochter empfänglich für Alternativen. Insgesamt finde ich es in Ihrer Situation wenig ratsam, noch zusätzliche Nervenbelastung durch rigorose Konsequenz zu initiieren. Stattdessen glaube ich, dass Ihnen viel mehr damit geholfen ist, wenn Sie Ihrer Tochter die Frustfaktoren mit Alternativen belegen. Damit meine ich ein "Nein, aber ich kann dir .... anbieten".


    Ich hoffe, dass meine Ideen hilfreich für Sie sind und wäre sehr froh, wenn Sie sich im Sinne einer ganzheitlichen Betreuung an eine Beratungsstelle wenden. Bitte halten Sie uns auf dem Laufenden, wie sich die Situation weiter entwickelt. Sollten Sie noch Fragen haben oder weitere Anregungen wünschen, haben wir immer ein offenes Ohr.


    Viele Grüße
    Tanja

  • Liebe Tanja,
    vielen Dank für die schnelle Antwort. Ich fühle mich bei der Vorstellung einer Familienhilfe aus dem Jugendamt nicht wirklich wohl, da ich des Öfteren Bezug zu Familienhelfern habe und auch mit dem Jugendamt einen gemeinsamen Arbeitskreis besuche. Ich bekomme ja auch alles auf die Reihe und schaffe es dabei noch liebevoll zu meinen Kindern zu sein. Den liebevollen Umgang mit dem Trotzanfall habe ich schon 1000 Mal praktiziert. Mit dem anderen Ansatz habe ich erst seit dem Anraten des Kinderarztes angefangen, finde ihn aber wesentlich schlechter in seiner Wirkung.
    Ich finde die Idee mit der Erziehungsberatungsstelle sehr gut. Ich denke, ich brauche einen ganz festen Alltagsplan. Hilfe bei der Erstellung könnte ich da sicher gut gebrauchen - da alle Arbeitsabläufe bei mir recht spontan ablaufen, weil ich so oft Schmerzen habe und versuche in der schmerzfreien Zeit unheimlich viel zu erledigen. Ich bemühe mich bereits mit meinem Neurologen um eine Neuropsychologische Behandlung, von der ich mir viel Erhoffe. Ich will zur Zeit auch keine neuen Medikamentenversuche. Das bringt nur zusätzlichen Stress in die Familie. Das letzte Mal konnte ich mich kaum artikulieren, war gereizt und Dauermüde.
    Ich werde am Montag zum ersten Mal die Sschädel-Hirn-Trauma Selbsthilfegruppe aufsuchen. Dort unterstützen sich die Betroffenen gegenseitig, vermitteln aber auch zu anderen Hilfen. Es hat keinen Sinn dauernd funktionieren zu wollen - und eigentlich gar nicht zu können und auch nicht genau zu wissen, was eigentlich alles nicht funktioniert.
    Außerdem könnte mir die Erzieherungsberatungsstelle vielleicht auch erklären, wie man das Thema Behinderung dem Kind am besten vermittelt. Ich bin da sehr offen - weil sich Schmerzen halt schlecht vertuschen lassen. Andererseits möchte ich mein Kind auch nicht überfordern. Neulich sagte die Kleine ganz liebevoll aber sachlich zu mir: ach Mami, das mit Deinen Schmerzen tut mir so leid. Du mußt Dich einfach mal richtig ausschlafen.....und bestimmt hilft das Bäuchlein reiben, so wie Du es bei mir immer machst. Da dachte ich, oh Gott, mein Kind stellt sich schon voll auf meine Defizite ein und hatte wieder ein ganz schlechtes Gewissen.
    Wir selbst verfügen in unserer Einrichtung über das Familienpatenprojekt. Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich wohne in einem anderen Kreis und würde mich somit noch nicht einmal selbst stigmatisieren. Bisher fiel es mir halt wahnsinnig schwer, mich zu einer Klientengruppe dazu zu zählen. Ich verfüge ja über jegliche Ressourcen, lediglich nicht über genug körperliche und stressbedingte Belastbarkeit.
    Vielleicht muß ich mir wirklich eingestehen, daß einen ein schweres Schädelhirntrauma zu einem Klienten macht. Und mir wird immer klarer, daß ich eine Putzhilfe brauche, um nicht noch zusätzliche Energien in dieser Arbeit zu verschwenden. Ich kann einfach nicht in zu großer Unordnung sein, würde es auch nie schleifen lassen. Also werde ich das Budget nochmals überdenken und unwichtige Sachen streichen. Denn manche meiner Ausgaben stehen in keinem Verhältnis zu der Entlastung die mir diese Hilfe bringen würde.
    Dennoch verstehe ich nicht, daß spezifische Hilfe speziell für behinderte Eltern immer noch so schwer zu finden ist.
    Ich werde zumindest die für mich in Frage kommenden Hilfen (Erziehungsberatung, Familienpaten) recherchieren und einen Kontakt aufnehmen.


    Viele Grüße


    Summer

  • Liebe Summer,


    ich kann durchaus nachvollziehen, dass es für Sie schwierig ist, sich selbst zum Hilfe suchenden Personenkreis zu zählen, wo Sie doch von Beruf wegen eigentlich die Rolle des Helfenden innehaben. An diese Situation müssen Sie sich erst gewöhnen.


    Es leuchtet mir ein, dass Sie den Kontakt zur Familienhilfe aus beruflichen Gründen problematisch sehen, aber die Familienberatungsstelle wäre dann eine gute Alternative und kann Ihnen sicher bei der Erstellung einer Tagesstruktur helfen. Es ist aus keinerlei Sicht sinnvoll, wenn Sie versuchen alle Aufgaben in Ihre guten Phasen hinein zu packen, denn der Preis dafür wird wohl eine Verschlechterung sein. Käme vielleicht eine Bezuschussung einer Haushaltshilfe durch die Krankenkasse aus gesundheitlichen Gründen in Betracht?


    Je nach Bundesland unterhalten die Institutionen, die für die Bearbeitung von Schwerbehindertenanträgen zuständig sind, auch Beratungsstellen für Schwerbehinderte. Manchmal ist eine solche auch bei den Sozialämtern des zuständigen Landkreises oder der Stadt/Gemeinde integriert. Und mir fallen dann noch spontan soziale Institutionen ein, die Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch XII leisten. Dort könnten Sie auch Beratung und ggf. Hilfestellung aus den entsprechenden Fördertöpfen finden. Das Projekt Familienpaten kenne ich nicht - vielleicht könnten Sie uns davon ein wenig berichten?


    Über die Aussage Ihrer Tochter sollten Sie kein schlechtes Gewissen haben, sondern dürfen stolz auf die Kleine sein, die ja doch sehr sensibel im Umgang mit Ihren Schmerzen ist. So schwer es auch ist, aber Ihre Krankheit ist ein Teil Ihres Lebens und damit auch Ihrer Familie und je offener alle Beteiligten damit umgehen, desto leichter wird es für alle. Sie dürfen also mit ruhigem Gewissen die kleinen Heilversuche Ihrer Tochter annehmen :)

    Wenn Sie sich in der Trotzsituation Ihrer Tochter mit einem liebevollen Ansatz wohler gefühlt haben, dann sollten Sie auf Ihren Bauch hören und wieder dorthin zurückkehren, auch wenn der durchschlagende Erfolg nach wie vor ausbleibt. Sie könnten es tatsächlich noch mit Alternativangeboten versuchen, aber insgesamt glaube ich, dass sich auch dieses Problem entspannen wird, wenn Ihre gesamte Situation Entspannung findet.


    Viele Grüße
    Tanja

  • Liebe Tanja,
    vielen Dank, daß ich hier so schnell ein offenes Ohr gefunden habe. Ich habe keine Bekannten mit Kindern außer die losen Kontakte in den Kindertagesstätten. Das Schicksal der Neu-Zugezogenen :)
    Ich berichte Ihnen gerne über das Familienpatenprojekt, was sich bei uns in Hessen immer mehr zu etablieren scheint.
    Ich selbst
    Ich habe heute Mal Entlastung durch unsere Omi (die ich leider immer holen und bringen muß, da sie keinen Führerschein hat und auch schon 73 ist). Und jetzt geht´s erstmal Erdbeerkuchen essen :thumbup: Für mich ist fast jeder Kontakt eine Entlastung und ich pflege diese Kontakte, auch wenn es manchmal durch die Fahrerei mühsam ist.


    Liebe Grüße


    Summer

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