Einen wunderschönen Sonntag-Morgen,
ich bin neu hier im Forum und suche nach Rat. Vielleicht kann mir hier jemand weiterhelfen.
Kurz zu uns: Ich bin 31 Jahre alt und habe einen Sohn (11 1/2 Jahre). Seit nun knapp 3 Jahren lebe ich in einer neuen Partnerschaft. Meine beiden Männer verstehen sich im Großen und Ganzen gut. Mein Sohn hat im Alter von 7 Jahren die Diagnose ADHS bekommen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir - natürlich - auch die Empfehlung für eine medikamentöse Einstellung gegeben, welche ich aber zunächst abgelehnt habe. Das haben wir etwas mehr als ein Jahr durchgezogen. Da wir alleine mit der Situation nicht klar kamen und mein Sohn in der Schule zunehmend Probleme hatte, habe ich doch die Entscheidung getroffen, auf die Tabletten zurückzugreifen. Ich muss auch ehrlich gestehen, dass es hilft. Mein Sohn ist ruhiger, konzentrierter und seine Impulskontrolle hat sich sehr verbessert. In der Schule machte er große Fortschritte, kam zufriedener heim.
Ich weiß nicht genau, ob die "Abteilung ADHS" für mein Anliegen nun überhaupt das Richtige ist, oder ob ich mich in einem anderen Bereich hätte einfinden müssen. Mein Sohn hat in der Vergangenheit schon so einiges mitmachen müssen. Der Vater (ich war von Anfang an Alleinerziehende) hat sich zunächst sporadisch gekümmert, bis es dann mehr und mehr einriss und ganz endete. Wenn sie sich heute über den Weg laufen, grüßen sie sich nicht mal mehr. Der beste Freund meines Kindes ist im Alter von 6 Jahren tödlich verunglückt. Zudem starb meine Mutter sehr früh und wir mussten leider auch zwei Haustiere dem Himmel überlassen. Das sind sicher alles Dinge, die einem Kind zu schaffen machen.
Nun mal zu meinen eigentlichen Schwierigkeiten:
Hmmm, ich weiß gar nicht genau, wie ich das beschreiben soll. Für ein harmonisches Zusammenleben trägt jeder seinen Beitrag bei. Und jeder hat so seinen Tagesablauf, der einfach das Leben bestimmt. Mein Sohn bricht aus diesem Alltag immer mehr aus. Er will seine eigenen Regeln aufstellen. Wenn ich nicht die ganze Zeit daneben stehe, tut sich nichts oder das Falsche. Morgens z.B. ist beinahe täglich Theater, weil er nicht zu Potte kommt und dann häufig recht spät das Haus verlässt. Erstaunlicherweise stört er sich daran, wenn er zu spät los kommt, aber er trödelt trotzdem jeden Tag aufs Neue rum, beschäftigt sich mit tausend Dingen, für die morgens keine Zeit ist. Wenn er auf der Toilette sitzt, schneidet er Wattestäbchen mit einer Schere kaputt. Wenn er etwas tun "soll", muss er auch grundsätzlich erstmal auf die Toilette. Und dann diese ganz normalen Dinge, die eigentlich mal geklappt haben: die Teller gehören in und nicht auf den Geschirrspüler, Dreckwäsche gehört in den Wäschekorb, die Schultasche wird nach den Hausaufgaben gepackt. Ja, das sind vielleicht auch einfach Entwicklungsschritte, vorpupertär. Das sind nur ein paar von unseren täglichen Konflikten, die wir austragen.
Ich weiß nicht, ob ich das einfach so hinnehmen soll. Vielleicht gibt es Eltern, die sagen, ich rege mich über banale Dinge auf. Aber wenn ich nichts sage, denkt er doch, es wäre ok. Oder nicht?
Außerdem diskutiert er immer mit mir. Er akzeptiert einfach nicht, was ich gesagt habe. Dabei kann es sich um ein einfaches NEIN handeln oder darum, dass er erst Sache A machen muss, um Sache B tun zu dürfen. Ich meine - er ist fast 12, kein Baby mehr. Er diskutiert sogar über die Dinge wie Zähne putzen oder duschen gehen. Man kann aber sagen, wann es eigentlich grundsätzlich IMMER klappt: wenn er Technik haben will. Dann ist das Zimmer plötzlich aufgeräumt (meist aber auch nur alles in Kisten zusammen geschmissen) oder seine gewaschene Wäsche liegt blitzschnell im Schrank und nicht mehr auf dem Bett.
Zusätzlich zu den Alltagsproblemen nässt mein Kind nachts ein. Wir hatten das so gut im Griff, die letzten drei Monate wars vielleicht noch einmal pro Woche, aber diese Woche war das Bett jeden morgen wieder nass.
Ich könnte jetzt wahrscheinlich einen Roman schreiben über all die Dinge, die hier zu Hause etwas schief laufen, aber so habe ich schonmal einen kleinen Einblick gewährt. Vielleicht gibt es hier Eltern, die das kennen und es geschafft haben, es zu verändern.
Ich habe schon so viele Dinge ausprobiert: Belohnungssysteme verschiedener Art, Tagebuch schreiben lassen, Regeln visualisiert, aktuell haben wir einen richtigen Tagesplan für ihn, bei dem es wirklich nur um seinen Alltag geht. Darin sind halt die gängigen Abläufe festgehalten, ganz detailiert, von aufstehen über anziehen, frühstücken, Zähne putzen etc., alles mit Zeitangaben. Der ganze Plan entsprang seinen Vorstellungen, er hat gesagt, was wann zu tun ist. Und es entspricht genau dem, wie es am besten funktioniert. Ich hatte überhaupt keine Einwände, denn er hatte offensichtlich genau die richtige Vorstellung. Ich habe gehört, ADHS-Kindern soll sowas helfen. Hat es am Anfang auch, mittlerweile ist das nicht mehr so. Wir waren sogar schon bei einem Therapeuten und zur Zeit machen wir eine Familienberatung. Aber ich kann noch keine Fortschritte verzeichnen.
Ich spreche auch oft mit ihm, frage, ob alles in Ordnung ist, ob er was verändern möchte. Es wäre ja möglich, dass sich sein Verhalten ändert, weil ihn irgendetwas belastet. Seine Antwort ist aber stets die selbe: alles ist gut so wie es ist. Und auch in der Schule gäbe es nichts.
Er weiß auch ganz genau, was nicht richtig läuft. Er kann es benennen und weiß, was stattdessen gemacht werden sollte. Ich verstehe nur einfach nicht, warum ihm das Umsetzen so schwer fällt. Erwarte ich zu viel?
Der Grund, nach Hilfe zu suchen, ist ganz klar, dass ich mir wünsche, dass wir hier weniger Stress haben. Das ist für uns alle drei wichtig.
Und hinzu kommt, ich gestehe, dass meine Zukunft ein wenig davon abhängt. Denn in Sachen Babyplanung, Hochzeit und Haus steht uns dieser Stress sehr im Weg. Mein Partner schlägt sich sehr tapfer, obwohl er nicht so stressresistent ist wie ich. Aber er sagt ganz klar: So lange sich hier nicht endgültig und dauerhaft etwas ändert, werden wir nicht weiter planen. Ich hoffe, dass das jetzt keinen Grund für einen "Shitstorm" gibt.
Ich hoffe nun, dass ich niemanden mit meinem Bombentext erschlagen habe. Aber ich wollte so gut wie möglich darstellen, wo meine Sorgen herkommen. Natürlich gebe ich mir selbst mit die Schuld für alles, aber ich finde den Auslöser einfach nicht.
Liebe Grüße von wunden Fingern, Evelyn