Meine Tochter weint so viel

  • Hallo allerseits,


    ich bin 27 und meine Tochter ist unser erstes Kind, sie ist jetzt genau 20 Monate und geht seit dem sie ein Jahr ist in die Kita. Mein Mann und ich sind schon seit 11 Jahren zusammen und habe vor zwei Jahren geheiratet als die Maus unterwegs war.


    Also mein Problem ist folgendes:


    Meine Tochter weint und weint und weint, manchmal ohne Grund, aber oft weil man das nicht tut was sie will. Sei es sie hoch nehmen oder auch nachts mit in Elternbett nehmen (darf sie natürlich wenn sie krank ist, aber eigentlich wollte ich das nun ohne Erkennbaren Grund nicht mehr). Wenn ich kochen will, möchte Sie auf meinen Arm und schiebt mich von der Anrichte weg und lauter so Sachen eben. Ich versuche Ihr erst zu erklären, dass ich so nicht kochen kann und sie eben kurz warten muss oder eben was spielen soll. Sie weint dann und ich fühle mich so gereizt. Ich liebe mein Kind über alles, aber oftmals löst dieses Geweine, nein teilweile hysterisches Schreiben bei mir richtig Wut aus, so dass es meistens darauf hinausläuft, das ich sie ziemlich anschreie. Das will ich nicht, und das ist sicherlich nicht förderlich für ihre Entwicklung. Es tut mir danach auch immer gleich leid und ich nehme sie dann natürlich hoch. Komplett falsch, ich weis, aber was kann ich tun? Wie soll ich meinem Kind richtig sagen, dass es z. B. was nicht darf oder ich eben grade kurz keine Zeit habe weil ich naja auf Toilette bin oder Koche usw. Ich will es harmonisch, aber bin wohl nicht in der Lage meine Gefühle in den Griff zu bekommen... Was soll ich tun? Wie war das bei euch?

  • Liebe SandySasa,


    herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Ihr Vertrauen und Ihre offenen Worte.


    Sie erleben da in der Tat eine sehr nervenaufreibende Zeit. So wie Sie Ihr Kind beschreiben, scheint das Schreien immer dann aufzutreten, wenn die Kleine Nähe, körperliche Wärme und Zuwendung sucht. Dass das ohrenbetäubende Schreien und Brüllen in Ihnen Stress auslöst und auch Gefühle wie Wut erzeugt, ist absolut nachvollziehbar und verständlich.
    Wenn Ihre eigenen Nerven dann blank liegen und sie selbst beginnen, mitzuschreien, verstärken Sie die Angst in Ihrem Kind, denn das scheint mir hinter diesem starken Bedürfnis nach Nähe zu stecken, dass die Kleine mit lautstarkem Schreien und Weinen zu bekommen versucht. Es ist dabei nicht wichtig, woher diese Angst/ Verlustangst rührt, Sie machen auch nichts falsch in Ihrer Rolle als Mutter! Verlustangst ist eine unserer Urängste, die wir alle in uns tragen.


    Dass Sie nicht jedem Schreien nachgeben wollen, weil dies signalisieren würde, dass das Schreien als Strategie, zu bekommen, was man will, funktioniert, ist absolut richtig und sinnvoll. Und dennoch drehen Sie sich mit Ihrer Tochter im Kreis. Sie scheint sich nach Nähe und Wärme zu sehnen, die sie aber nicht bekommt, weil sie mit ihrem Verhalten in Ihnen Stress auslöst, der in Wut und Verzweiflung gipfelt. Und zudem wollen Sie ihr nicht das Signal geben, dass diese Taktik gut ist und funktioniert, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Diesen erhalten Sie aber aufrecht, denn die Angst Ihrer Tochter und das Bedürfnis nach Nähe wird ja nicht erfüllt und nicht befriedigt.


    Wenn Sie sich erinnern und zurückdenken, können Sie denn sagen, wann dieses Schreien begonnen hat? Gab es eine Veränderung in Ihrem Leben, die damit zusammenhängen könnte? Und gibt es tägliche Rituale, in denen Sie Ihrer Tochter genau das geben, wonach sie sich so sehr zu sehen scheint: körperliche Nähe und Wärme und ungeteilte Aufmerksamkeit?!


    Ich möchte Ihnen dennoch die offizielle Definition so genanner "Schreibabys" bzw. "Schreikinder" nicht vorenthalten:



    Per Definition heißt es, dass ein Baby, welches mindestens an drei Tagen pro Woche drei Stunden schreit, ein Schreibaby ist.


    Typische Merkmale von Schreibabys sind:


    - Anhaltendes, sich steigerndes Schreien
    - Ein durchgedrückter Rücken
    - Rot anlaufender Kopf
    - Unterbrechungen in der Atmung
    - Beruhigung ist meist nur durch Ablenkung möglich
    - Das Baby kann nicht entspannen
    - Übermüdung
    - Überreizung
    - Schlaf ist nur bei totaler Müdigkeit möglich
    - Schreckhaftes Aufwachen
    - Stillprobleme
    - Die Babys sind sehr wachsam bis schreckhaft
    - Hohe Muskelanspannung


    Nicht jedes Schreikind hat alle Symptome und nicht jedes Baby schreit genau
    die Zeit der Definition.


    Es gibt so genannte Schreiambulanzen, zu denen Sie Kontakt aufnehmen können, um sich Rat und Unterstützung zu holen.


    Ich freue mich auf Ihre Antwort
    Herzliche Grüße
    Klara

  • Sehr geehrte SandySasa,
    als erstes möchte ichIhnen mitteilen, dass ich Ihren Gefühlswust nachvollziehen kann und möchteeinen Satz aufgreifen, den Sie relativ am Ende geschrieben haben: „…aber binwohl nicht in der Lage meine Gefühle in den Griff zu bekommen...“ und möchteSie darauf aufmerksam machen, unter welchem Druck Sie sich setzen und welchesBild Sie von sich aufzeichnen. Was ich aus Ihren Zeilen hingegen lese, ist dieSorge einer liebenden Mutter, nicht der Ärger einer versagenden Mutter. WennSie sich aber als die versagende Mutter sehen, stellen Sie sich stets in Frageund trauen Ihrem Urteilsvermögen nicht mehr, Sie sind also unsicher und habenAngst. Wie wollen Sie als verängstige, unsichere Frau ihrer Tochter Halt undSicherheit geben?
    Stellen Sie sich bittedie Frage, warum Sie Ihre Tochter lieben, und was Ihnen an Ihrer Beziehung zuIhrer Tochter Freude macht. Benutzen Sie bitte nicht die Worte „kein“ und „nicht“in der Beschreibung/ Aufzählung, da Ihnen nur positive Sätze helfen. SchreibenSie diese Sätze auf und lesen Sie sie sich bitte laut vor. Mir geht es indiesem Prozess darum, dass Sie sich erneut davon überzeugen, dass Sie einegute, liebende Mutter sind.
    Der zweite Punkt betrifftIhre Tochter. Versuchen Sie sich in Sie hineinzuversetzen, und versuchen Siedie Gefühlswelt Ihrer Tochter zu ergründen. Das viele Schreien und Klammern istder Ausdruck eines Bedürfnisses, wie Klara bereits dargestellt hat. Wenn diesesGefühl besteht, können Sie Ihre Tochter mit Worten nicht erreichen. Es gibtetwas im Menschen, das nennt sich das Bindungssystem. Es beschreibt die Bindungzwischen den Kindern uns seine Eltern. Das Bindungsbedürfnis ist immer dannaktiv, wenn Unsicherheit und Angst vorherrschen. Bei Angst reagiert der Körpermit der Ausschüttung von Stresshormonen (Kortisol) und Adrenalin. Dadurch werdendie Muskeln gefördert um aktiv zu sein (ursprünglich musste der Mensch inStresssituationen und bei Gefahren, also Angst, mit Weglaufen oder Angreifenreagieren, wozu er seine Muskelkraft benötigt). Das Resultat daraus ist, dassdas Gehirn weniger beansprucht werden kann in dieser Zeit, und Ihr Kind aus demGrund nicht auf Ihre gesprochenen Worte reagieren kann. Die Erklärungensollten, wenn überhaupt, vorher erfolgen.
    Was die Ursachen fürdieses Stresserleben bei Ihrer Tochter sind, kann ich nur Vermutungen anstellen,da nur ein Profi vor Ort es herausfinden kann. Was mich aber nicht davonabhält, Ihnen meine Vermutungen kundzutun. Ihre Tochter ist in dem Alter indemsich die Objektpermanenz (das ist die Fähigkeit zu wissen, dass das was ausihrem Blickfeld verschwindet trotzdem existent bleibt) etabliert. D.h. IhreTochter befindet sich in einer Phase in der sie lernt, dass Sie da sind, auchwenn sie Sie nicht mehr sieht. Diese Art von Trennungsangst ist einetiefgreifende und kann nur mit Einfühlsamkeit bearbeitet werden.
    Seien Sie sich sicher,dass Ihre Tochter, wenn Sie sie unterbricht, nur die Absicht hat, zugesichertzu bekommen, dass Sie, als Ihre Mutter, für sie da sind, sie verbringt eh einegute Zeitspanne am Tag von Ihnen getrennt. Verstehen Sie mich bitte nichtfalsch, es schadet den Kindern nicht, in jungen Jahren bereits in die Kita zugehen, nur danach brauchen sie Sie.
    Als unser ältestes Kindin diesem Alter war, musste er immer zwischen uns gehen, wenn meine Frau undich zusammen waren, oder uns in den Arm genommen haben. Er versuchte stets unsauseinander zu schieben und einen von uns dazu zu bewegen, ihn anstelle desPartners in die Arme zu schließen. Wir haben dann den Jungen, jeder von unsunter einem Arm packend, hochgehoben und ihn an uns beide gedrückt. Hiermithaben wir ihm gezeigt, dass wir sein Bedürfnis erkennen und ernst nehmen, ervon uns in den Arm genommen wird, er uns aber nicht steuernd unterbricht.
    Wie wäre es, wenn Sie siemit in die Küche nehmen wenn Sie dort kochen wollen, und sie in ihr Hochstuhlsetzen, bevor Ihre Tochter Sie dazu in ihrer Art und Weise dazu auffordert? DrehenSie sich dann immer wieder zu ihr, und bespaßen sie (mit Versteckspielen, Kuckuckda, mit einem Geschirrtuch das Gesicht zudecken und dann wieder abdecken…) undgeben ihr zwischendurch immer wieder ein Küsschen, ein Lächeln und damit dieBotschaft: Schön, dass du da bist. Durch die gegenseitige Aufreibung geben Sieihr zwar Aufmerksamkeit, aber die Botschaft, dass sie eine Last ist, was ihreÄngste verstärkt.
    Seien Sie bitte eindeutigin Ihren Aussagen zu Ihrer Tochter. Sie wissen zwar dass es komplett falsch istnachzugeben (wie Sie geschrieben haben), kommen aber aus dem Hamsterrad nichtheraus. Sagen Sie lieber aus vollem Herzen zu, auch wenn es nicht das ist wasSie eigentlich wollten. Es ist aber besser als abzulehnen und dann trotzdem zu machen.Jesper Juul hat in seinem Buch: „Nein aus Liebe“ darauf hingewiesen, dass einehrliches Ja viel mehr wert ist als ein halbherziges erzwungenes Ja, welcheseigentlich ein Nein ist.
    Was das Erlernen desNeins angeht, unterscheiden Sie zwischen den Nein aussagen, und fangen Sie beiKleinigkeiten an Nein zu sagen, und ziehen Sie diese Aussage durch, ohne einenRückzieher. Geben Sie aber bitte kein Nein, wenn das Bindungsbedürfnis desKindes aktiv ist. Dadurch entsteht kein Lerneffekt, sondern Wut, Verzweiflungund Resignation.

  • Wow vielen Dank,


    das hat mich richtig aufgebaut. Dazu muss ich sagen:


    Das Verhältnis hat sich inzwischen sehr gebessert und zwar bin ich der Meinung das es eher an meiner inneren Ruhe liegt. Anscheinend hat mich unterbewusst etwas sehr beschäftigt, so dass ich einfach gestresst war und es auch leider an meiner Liebsten rausgelassen habe. Ich habe mittlerweile (also natürlich nicht immer) einen guten Weg gefunden mit meiner Tochter umzugehen und das schönste dabei ist, es ist keine Anstrengung weil ich darüber nachdenken muss, was ich tue und sage, sondern es kommt irgendwie Instinktiv und von ganz allein... Zu bemerken, wenn sie mich braucht, rauszufinden wann sie wirklich mich braucht oder nur z. B. Beschäftigung ... Ich hab Sie immer in der Küche dabei und setze sie während ich Koche so auf die Anrichte, dass sie zu schauen, aber ihr nichts passieren kann. Sie darf hier und da probieren und ich schäre mich auch mal nicht zum ne total voll gekleckerte Küche weil wir uns lachend mit Wasser bespritzen o.a. Ich glaube ich fühlte mich für den Moment überfordert. Ich denke solche Momente kommen auch immer wieder. Man muss selbst immer lernen wie man am besten damit umgeht glaub ich und herausfinden was das beste für Kind und einen selbst ist.


    Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen
    Es ist einfach mal notwendig Rat von Unbeteiligten zu bekommen, anstatt von der Oma, Freundin, Ehemann usw.

  • Liebe SandySasa,


    das sind ja wundervolle Nachrichten! Ich freue mich sehr, dass sich Ihre Situation so gewandelt hat. Ja, es ist spannend, wie sehr Kinder spüren können, wie es um das eigene innere Gleichgewicht geht und es uns dann entsprechend spiegeln, z.B. indem sie Angst zeigen wegen der Unruhe/ inneren Unsicherheit, die sie (unbewusst) beim anderen spüren. Der Weg, den sie nun gefunden haben, klingt toll! Kinder - und auch Tiere - haben da einfach ganz feine Antennen, die wir Erwachsenen eigentlich auch haben, doch deren Signale wir leider in unserer lauten und schnelllebigen Welt manchmal vergessen bzw. überhören.


    Ich wünsche Ihnen weiterhin alles alles Gute!
    Und wenn ihre Tochter eines Tages wieder "anstrengend" ist, dann wissen Sie ja nun, dass Sie sich auch selbst kritisch hinterfragen sollten, wie es um Ihr eigenes "Seelenleben" im Moment steht. ;)


    Herzliche Grüße
    Klara

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