wie gehe ich mit Verlustangst bei Geschwisterkind um

  • Hallo,
    meine grosse Tochter (wird demnächst 4) hat seit 9 Monaten eine Schwester. Hinzu kommt, dass Oma übergangsweise mit Opa bei uns im Haus gewohnt hat. vor 3 Monaten sind diese wieder in ihr eigenes Heim gezogen. Bisher war die Große ein liebes hilfsbereites Kind und hat keine grössere Eifersucht gegenüber ihrem Schwesterchen gezeigt. Seit der Zeit als Oma ausgezogen ist (und ich muss dazusagen dass Oma nicht sehr einfühlsam war: sie ist einfach eines abends im neuen Haus geblieben ohne Vorankündigung und wir hatten Tage damit zu tun unserem Kind zu erklären, dass Mama und Papa nie weggehen und nicht mehr kommen!) hängt sie immer mehr an Mama und will z.B. nicht mehr alleine ins Kinderturnen. Immer soll Mama Händchen halten. Darauf dass sie alleine gehen darf hatte sie sich sehr gefreut und anfangs war sie ganz stolz darauf. Mama muss mit ins Zimmer wenn sie Spielzeug holen will.
    Allerdings geht Mama nicht mit. Ich erkläre ihr dann dass sie das selber kann und meistens schmollt sie dann und bleibt bei mir.



    Seit sie 31/2 ist ging das übliche Getrotze los: mein Mann und ich sind da sehr konsequent. Wenn sie bockt kommt sie in ihr Zimmer. Meist geht sie nicht freiwillig. Dann trägt sie mein Mann hoch ins Zimmer. Dabei kann sie ihn auch schonmal hauen oder kratzen. Hat sie bei mir noch nie gemacht.
    Allerdings werde ich wahnsinnig wenn ich mit ihr über eine Situation reden will und sie dann nur schweigt und mich herausfordernd anschaut. Dann werde ich schonmal laut. Was mir danach allerdings Leid tut. Aber in dem Moment bringt sie mich damit total zur Weißglut.
    Es kam auch schon vor dass sie, nach Ankündigung wenn sie ihr Verhalten nicht ändert in ihr Zimmer muss, schnurstracks in ihr Zimmer gegangen ist mit Gemecker und die Türe geknallt hat.
    Seit das Geschwisterkind da ist redet sie manchmal wieder wie ein Baby. Ich ignoriere das, aber mein Mann weist sie dann zurecht, was dann einen Schmollanfall zur Folge hat.


    Seit neuestem und das macht mir Sorgen sucht sie im Kindergarten Streit. Sie schuckt, kratzt, nimmt Mützen vom Kopf weg und fällt durch ihr Verhalten auf. Neulich hat sie ein Mädchen gekratzt weil die nicht mehr ihre Freundin sein wollte. Sie hat sichtbare Spuren im Gesicht und deren Mutter hat sich bei der Erzieherin beschwert. Eigentlich ist sie als liebe hilfsbereite Spielkameradin mit der jeder gerne spielt bekannt.
    Kann oder muss ich etwas tun oder ist das normal für das Alter? Die Erzieher meinen dass das mit dem Geschwisterkind zu tun hätte.
    Wie genau kann ich in Situationen reagieren, in denen sie auf Durchzug stellt und wie komme ich an sie ran?
    Wie bekomme ich aus ihr heraus was sie bedrückt? Ich bin leider nicht der geduldigste Mensch und will immer alles sofort geklärt haben und deshalb fällt es mir so schwer wenn sie gar nicht reagiert.
    Vielen Dank für eine Antwort

  • Hallo Kapellenzwerg,


    zu erst einmal ein herzliches Willkommen und danke für Ihre Offenheit.
    Die Situation, die Sie da beschreiben, kann ich mir als in der Tat als sehr nervenaufreibend vorstellen.
    Ich denke, Sie haben da im Moment mit Ihrer älteren Tochter zwei aktuelle Themen:
    Verlustangst und die so genannte "Trotzphase".


    Kinder im Alter Ihrer großen Tochter machen einen wichtigen Entwicklungsschritt, wenn sie in diese Phase kommen, da sie ihren eigenen Standpunkt entwickeln. Vielleicht wären die folgenden Beiträge interessant für Sie, was das schmollende und auch das aggressive Verhalten betrifft:
    Beißen, schlagen, kratzen, schubsen - warum machen Kinder das?
    Trotzphase - Hilfe, ist das mein Kind?
    Frustrationstoleranz - braucht mein Kind das?


    Nun ist in eben dieser wichtigen und gleichzeitig durchaus für Eltern fordernden Entwicklungsphase auch noch ein kleines Geschwisterchen geboren worden. Und so, wie Sie die Situation beschreiben, klingt es doch sehr danach, dass Ihre Tochter Verlustängste hat. Der Vorfall mit der Oma, die ohne Verabschiedung einfach aus dem Alltag Ihrer Tochter wieder verschwindet, spielt da möglicherweise auch eine Rolle. Doch diese Geschichte ist nicht mehr zu ändern und so geschehen, wie sie eben war. Die Verlustangst Ihrer Tochter könnte auch die "Babysprache" erklären, denn sie sieht und erlebt ja sicherlich, dass Sie sich als Eltern intensiv um das Baby kümmern (müssen). Möglicherweise fühlt sich Ihre große Tochter hierdurch etwas vernachlässigt und versucht, mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, indem sie wie ein Baby spricht. Nehmen Sie ihr das nicht übel! Sie ist immerhin erst dreieinhalb Jahre alt und muss sich mit dieser neuen Familiensituation erst zurechtfinden. Zuvor stand sie im Mittelpunkt, nun muss sie lernen, die Aufmerksamkeit und Zuwendung durch Sie als Eltern, gewissermaßen zu teilen. Das ist nicht leicht.


    Vielleicht wollen Sie versuchen, zum Einen ins Gespräch mit ihr zu gehen und ihr zu erklären, wieder und wieder, dass sie immer noch wichtig ist und geliebt wird. Und es würde Ihrer Tochter möglicherweise auch helfen, ihre Ängste zu überwinden, wenn sie Zeiten alleine mit Ihnen verbinrgen darf ohne dass auch das Baby dabei ist. Vielleicht haben Sie Lust, hier Rituale zu schaffen, also Regelmäßigkeit ins Spiel zu bringen, damit ihre große Tochter weiß, dass es bestimmte Dinge und Zeiten gibt, in denen sie der Mittelpunkt sein darf.


    Das aggressive Verhalten im Kindergarten kann durchaus mit dem neuen Geschwisterchen zusammenhängen. Wir kanalisieren ja auch im Erwachsenenalter Angst oftmals durch Wut bzw. verstecken Ängste hinter einer Maske aus Wut und Zorn, ohne dass uns dies immer bewusst ist.


    Ich wünsche Ihnen alles Gute und würde mich freuen, wenn Sie uns berichten würden, wie Ihre Geschichte weitergeht.
    Herzlichst
    Klara

  • Hallo Klara,


    Vielen Dank erst einmal für die Antwort.
    Wir sind schon dabei freie Zeiten für unsere grosse Tochter zu schaffen. Nicht immer so einfach, da Papa meist spät (kurz vor dem Zubettgehen) nach Hause kommt, aber ich lese ihr 2-3 mal die Woche noch aus einem Buch vor bevor sie ins Bett muss.
    Ich habe mit ihr vereinbart, dass ich mit ihr alleine ins Kino gehe, wenn sie es schafft, wieder alleine im Turnen zu bleiben.
    Mal sehen, ob das Erfolg hat.


    Im Kindergarten mussten wir zu einem Elterngespräch, da die Mutter des gekratzten Kindes (habe ich im ersten Beitrage geschildert) sich bei der Kindergartenleitung beschwert hat.
    Seit 2 Wochen sei das Verhalten auffällig. Seither eckt unsere Tochter wohl mit dem bestimmten Kind immer wieder an. Aber sie suchen und finden sich auch immer wieder. Es gab auch den einen oder anderen Vorfall mit anderen Kindern. Es gibt da eine Höhle in die die Kinder rein können und als ein paar Jungs sie nicht rauslassen wollten hat sie einen davon gepfetzt.
    Unsere Tochter ist nicht der Typ der gleich zu einem Erwachsenen rennt wenn man sie ärgert. Sie wehrt sich dann. Wir haben ihr zwar mehrfach erklärt, dass sie erst einmal sagen soll dass sie das nicht will und wenn das nicht hilft zu einem Erzieher soll anstatt zu schucken oder zu hauen, aber anscheinend macht sie das nicht.


    Uns wurde nahe gelegt, einen Kinderpsychologen aufzusuchen, wenn sich das nicht ändert. Und ich betone hier, dass unsere Tochter bisher nicht schwierig war. Sie wurde beim letzten Elterngespräch als hilfsbereit, einfühlsam und gerne gesehener Spielpartner bezeichnet. Das war letzten Sommer.


    Anscheinend lutscht sie T-Shirt oder auch Spielzeug an. Zu Hause habe ich auch schon beobachtet dass sie Dinge in den Mund nimmt oder an etwas lutscht. Das kenne ich so nicht von ihr. Was hat das zu bedeuten?


    Wir wurden gefragt, ob sich in den letzten 2-3 Wochen etwas an unserer Lebenssituation geändert hätte. Nein hat es nicht. Es kommt gerade wieder etwas Alltag und Routine herein.
    Dachte ich jedenfalls...


    Bei all den Problemen möchte ich auch erwähnen, dass sie schon früh sehr selbstständig wurde. Ihre Kleidung sucht sie jeden morgen selbst heraus und das schon seit sie 1 1/2 ist. Sie kann sich schon lange sehr gut ausdrücken. Das betonen auch die Erzieher immer wieder. Sie kann genau erklären was passiert ist, wenn man sie danach fragt. Sie kommt mit einem Kühlakku angerannt wenn sich jemand stösst und holt unaufgefordert einen Waschlappen oder ein Taschentuch wenn ihre kleine Schwester niest oder sich versaut. Sie nimmt mich in den Arm wenn ich krank bin und tröstet mich. Sie ist ein sehr einfühlsamer kleiner Mensch.


    Ist es wirklich nötig einen Psychologen ins Boot zu holen?


    Vielen Dank.

  • Hallo Kapellenzwerg,


    danke für Ihre Antwort. Ich kann mir gut vorstellen, dass das kein angenehmes Gespräch im Kindergarten war. Den Rat, den man Ihnen dort gegeben hat, finde ich grundsätzlich nicht schlecht. Sie beschreiben selbst verschiedene Veränderungen an Ihrer großen Tochter, die Sie selbst nicht verstehen können und Sie betonen zudem, dass es nichts gibt, was sich aus Ihrer Sicht in den letzten Wochen im Leben Ihrer Tochter verändert haben könnte. Ein Kinderpsychologe könnte hier durchaus hilfreich sein, um aufzudecken, was die Gründe für das Verhalten ihrer Tochter sind und damit dazu beitragen, dass man ihr helfen kann. Manchmal sieht man "den Wald vor lauter Bäumen nicht", so lautet ein bekanntes Sprichwort. Oder vielleicht gibt es etwas, das Ihre Tochter Ihnen bisher nicht anvertraut hat, was sie beschäftigt oder sogar quält.


    Wie Sie Ihre Tochter beschreiben, finde ich wunderschön. Sie scheint ein sehr hilfsbereites und auch sehr empathisches Mädchen zu sein. Wirklich außergewöhnlich! Toll!


    Wenn ich so überlege, erinnere ich mich an eine Geschichte aus meiner Grundschulzeit: Ich galt auch als stets sehr hilfsbereit und freundlich und dann kam eines Tages in der großen Pause ein anderes Mädchen, das hatte einen Arm in Gips und flippte förmlich aus, schrie mich an und unterstellte mir, die Pause war vorbei und alle Kinder strömten zurück ins Schulgebäude, ich hätte sie absichtlich angerempelt an ihrem gebrochenen Arm. Sie machte eine richtige Szene und ihre Unterstellung, dass ich das vorsätzlich gemacht hätte, verletzte und kränkte mich sehr. Zurück im Klassenzimmer rastete ich dann aus und pfefferte meine Schulsachen gegen die Wand. Alle waren fassungslos, denn so hatte mich zuvor ja noch niemand erlebt. Ab da begann ich mich auch in anderen Situationen zu wehren und auch mal nein zu sagen. Ich denke, ich war nicht nur hilfsbereit, sondern musste auch lernen, mich abzugrenzen, nein zu sagen, auch mal skeptisch zu sein. Dieser Vorfall war da eine Art Auslöser.
    Möglicherweise ist Ihrer Tochter etwas ähnliches passiert, was in Ihr diese Verhaltensänderung auslöste. Vielleicht sucht sie auch gerade einen Weg, sich zu wehren und nein zu sagen (schubsen, kratzen, schlagen)? Nur so ein Gedanke.


    Zur oralen Phase Ihrer Tochter kann ich Ihnen so viel sagen, dass diese Entwicklungsphase bei Babys sehr wichtig ist und diese alles in den Mund nehmen, um die Dinge zu ertasten und mit Mund, Lippen und Zunge zu erfühlen. Es kommt häufiger vor, dass diese Phase auch im Kindergartenalter nochmals auftritt. Machen Sie sich keine Sorgen.
    Sie können als Ausgleich versuchen, mit Ihrer Tochter andere Sinne zu trainieren wie z.B. den Tastsinn (Hände, Füße) und das Gehör. Es kann sein, dass Ihre Tochter einfach noch "Nachschlag" bezüglich ihrer oralen Phase braucht, sie also noch nicht genügend ausgelebt hat oder aber sie schaut das gerade bei ihrer kleinen Schwester ab und macht dies nach. Womit wir dann möglicherweise wieder beim Thema Verlustangst wären, denn Sie schrieben ja auch, dass sie manchmal in Babysprache spricht.


    Ich wünsche Ihnen alles Gute! :)
    Herzliche Grüße
    Klara

  • Hallo Klara,


    Vielen Dank für die Antwort. Sie hat mir sehr geholfen.
    Unsere Tochter hat als Baby bis jetzt nie Dinge in den Mund genommen. Das war eine Besonderheit gegenüber allen anderen Säuglingen und Kleinkindern, die wir immer wieder festgestellt haben.
    Dann holt sie das wohl gerade nach.


    Und vielleicht beginnt sie sich auch gerade zu wehren. Bisher hat sie sich in solchen Situationen einfach neu orientiert. Wenn ein anderes Kind z.B. Streit wegen eines Spielzeugs angefangen hat, hat sie sich etwas Anderes gesucht.


    Sie hatte auch nie ein Kuscheltier das nicht fehlen durfte. Hat sie bisher auch nicht, aber sie will neuerdings immer irgendein Kuscheltier mitnehmen wenn wir von zu Hause weggehen und sei es nur zum Einkaufen.


    Wir werden die nächsten Wochen erst einmal beobachten wie sich das alles entwickelt und wenn es weiter Probleme im Kindergarten gibt dann werden wir über den Vorschlag nachdenken.


    Vielen Dank, :)
    Kapellenzwerg

  • Hallo Kapellenzwerg,


    ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen konnte.
    Es klingt tatsächlich ganz danach, als würde Ihre Tochter die orale Phase nachholen. Normalerweise taucht diese Entwicklungsphase mit etwa 5 Monaten auf. Babys in diesem Alter stecken sich alle möglichen Dinge in den Mund oder beißen auch mal in ein Stück Seife und dergleichen. Der Hintergrund ist der, dass in diesem Alter der Tastsinn besser ausgeprägt ist, als andere Sinne wie schmecken, sehen und hören, auch das Wärme- und Kälteempfinden ist noch verzögert. Babys erstasten mit dem Mund ihre Welt und können Gegenstände wiedererkennen, die sie mit dem Mund untersucht haben. In der oralen Phase sammeln Kinder also Informationen und entdecken die Welt.


    Und so wie Sie beschreiben, hat sich Ihre Tochter bisher auch auf keine Konflikte eingelassen und wählte die Strategie des Ausweichens und Sich-geschlagen-gebens. Wenn sie sich bisher tatsächlich nicht gewehrt hat, dann übt sie das wohl nun gerade und probiert sich aus. Dass schlagen, beißen und kratzen hier eher "ungünstige" Strategien sind und sie sich auch mit Worten wehren kann oder/ und, indem sie sich Unterstützung von Erwachsenen holt, muss sie erst lernen.


    Möglicherweise hat die kleine Schwester hier einen Impuls gegeben. Denn zuvor stand Ihre große Tocher im Mittelpunkt und musste nichts zu Hause teilen und nun ist sie da in einer ganz neuen Situation, die sie auch auf den Kindergarten überträgt und auch dort übt, sich zu wehren.
    Im Grunde ist es toll und Sie dürfen stolz darauf sein, dass sich Ihre Tochter nun auch wehrt. Vielleicht können Sie ihr helfen, bessere Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln als körperliche Gewalt. :D


    Alles Gute für Sie!
    Klara

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