Was mache ich - auflaufen lassen oder helfen?

  • Hallo,


    mein Sohn, 8 Jahre, 2. Klasse, ist immer schon mal auffällig in der SChule gewesen. Er ist ein helles Köpfchen, schaltet aber manchmal ab, z.B. wenn ihm Dinge nicht sinnvoll erscheinen oder auch, wenn die Lehrer ihn nicht verstehen...oder er schlicht und ergreifend keine Lust auf bestimmte Inhalte hat bzw. die ihn nicht interessieren. Wir sind deshalb mit der Lehrerin in Kontakt.


    Nun hat er heute sein Sachkundeheft mitgebracht - er soll ein Arbeitsblatt machen und das Heft durchschauen. Es soll nächste Woche abgegeben werden, damit die Lehrerin es mal durchschauen kann. In dem HEft sind etliche Seiten frei, Teile unbearbeitet etc...Ich habe immer nur gesehen, wenn es Hausaufgaben gab. Die hat er auch gemacht. Sachen aus dem Unterricht habe ich dagegen nicht mitverfolgen können. Nun habe ich ihm vorgeschlagen, seinen SChulfreund, der sehr gut in der SChule ist, anzurufen und sich dessen HEft mal auszuborgen, um zu sehen, was ihm fehlt und ggf. Sachen nacharbeiten zu können. Sonst gibt es sicher eine schlechte Note - ich weiß nicht, welche Relevanz diese Heftschau für das Fach hat.


    ER sitzt jetzt am Tisch und weint - die Aussicht auf das Nacharbeiten von Dingen, die ihn nicht die Bohne interessieren, machti hn wütend. Die Aussicht auf eine schlechte Note aber ebenso - er möchte weder das eine noch das andere.


    Was kann ich tun? LAsse ich ihn auflaufen oder dränge ich ihn, noch Sachen nachzuarbeiten? Ich habe ihm bereits gesagt, dass es seine Verantwortung ist, seine Hefte zu führen und ich nur helfen kann, wenn er mir anzeigt, dass er Hilfe braucht...aber ich habe schon ein schlechtes Bauchgefühl, ihn einfach so damit sitzen zu lassen. ?( Habe ihm jetzt gesagt, er soll mal darüber nachdenken. Er sitzt nun grummelnd am Tisch.


    Danke für Tipps!


    Andrea

  • Liebe Andrea,


    das ist eine echte Zwickmühle, in der Sie da stecken und ich gebe zu, dass beide möglichen Vorgehensweisen durchaus gewisse Aspekte mitbringen, die für sie sprechen. Deshalb ist eine allgemein gültige Antwort sehr schwer zu geben, sondern wir können Ihnen lediglich unsere subjektiven Meinungen mitteilen.


    Ich persönlich bin der Auffassung, dass Sie Ihrem Sohn die Hilfestellung geben sollten, die er offensichtlich in dieser Situation braucht. Natürlich müssen Kinder eine gewisse Selbständigkeit im Lernverhalten entwickeln, allerdings halte ich die Kinder in der Grundschulzeit für noch nicht reif genug, weitsichtige Entscheidungen dieser Art zu treffen. Und auch in der 2. Klasse ist oftmals die Motivation und auch die Hilfestellung der Eltern nötig, die man dann auch ruhig einbringen sollte.


    Ich kann mich absolut in Ihren Sohn hineinversetzen. Er möchte keine schlechte Heftnote bekommen und das ist grundsätzlich eine sehr vorbildliche Einstellung. Gleichzeitig sieht er sich jedoch vor einem Berg an Aufgaben, die ihn noch dazu nicht interessieren. Wir Erwachsenen kennen das doch eigentlich auch: Wenn wir auf den riesigen Stapel Bügelwäsche blicken, eine Kiste voller Papierkram sortieren müssen oder sämtliche Fenster einen Putz vertragen könnten. Also ich kann mich dann auch nur sehr schwer motivieren, bin aber am Ende stolz und glücklich, wenn alles geschafft ist. Das Sachkundeheft ist für Ihren Jungen sein persönlicher Mount Everest, der ihm so unüberwindbar erscheint, dass er den Aufstieg gar nicht erst starten möchte. Hat er es dann aber geschafft, wird er glücklich darüber sein.


    Natürlich geht mit dieser Situation ein gewisser Lerneffekt einher, der funktioniert aber meiner Meinung nach in zweierlei Richtung: Arbeitest du nichts, bekommst du eine schlechte Note. Arbeitest du, bekommst du eine gute Note. Das Ergebnis ist eindeutig ein Lernprozess. Der eine basiert allerdings auf Misserfolg und Frust, der andere auf Erfolg und Stolz. Da sich aus Frust schnell ein Negativkreislauf entwickelt, der die Selbstmotivation immer schwieriger werden lässt und schließlich eine gewisse Resignation mitbringt, tendiere ich immer zum Positiveffekt. Da Ihr Sohn den Weg dorthin im Moment offensichtlich alleine nicht schafft, dürfen Sie ihn ruhig begleiten. Wenn es Ihre Zeit erlaubt, dann machen Sie aus dem "Du arbeitest dein Heft auf" ein "Wir arbeiten dein Heft auf". Er soll bei seinem Freund anrufen, dafür bereiten Sie schon mal den Arbeitsplatz vor. Jeder darf sich im Heft abwechselnd ein Thema aussuchen, dass nun als nächstes vervollständigt wird. Und wenn es Aufgaben zu lösen gilt, dann kann eine von Ihrem Sohn gelöst werden, während er Ihnen die Vorgehensweise erklärt und Sie übernehmen die Nächste und erklären ihm wie es geht. Auf diese Art spürt Ihr Sohn, dass Lernen auch Spaß machen kann und darf sich am Ende über einen Erfolg in Form einer guten Schulnote freuen. So wird es ihm wahrscheinlich beim nächsten Mal leichter fallen, sich zu solchen Aufgaben zu motivieren.


    Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig Entscheidungshilfe geben und drücke die Daumen, dass diese Aufgabe für Ihren Sohn ohne großes Frustpotenzial lösbar ist. Es wäre toll, wenn Sie uns berichten wie Sie sich entschieden haben.


    Viele Grüße
    Tanja

  • Hallo Tanja,


    mittlerweile sind wir etwas weitergekommen. Mein Sohn hat selbstständig bei seinem Schulfreund angerufen und ihn um dessen Sachkundeheft gebeten. Am nächsten Tag wurde es ihm in die Schule mitgebracht und wir haben gemeinsam durchgeblättert, wo was fehlt. Er hat auch schon einen Teil nachgearbeitet und für den Rest hat er am Wochenende noch Zeit. Mein Sohn hat mittlerweile eingesehen, dass es vielleicht besser ist, sich immer wieder darum zu kümmern, dass alles aus dem Unterricht an Ort und Stelle ist als plötzlich alles in kurzer Zeit nachholen zu müssen, was noch fehlt - das ist ja auch ein guter Lerneffekt!


    Leider haben sie derzeit quasi Endspurt vor den Sommerferien, zumindest kommt es mir so vor - ORientierungsarbeit Deutsch wurde gestern geschrieben und musste ja auch geübt werden, für nächste Woche Montag dann das fertige Sachkundeheft noch abgeben und ein Lieblingsbuch in 8-10 Minuten vorstellen - ich finde das für die 2. Klasse schon nicht ganz ohne...


    LG


    andrea

  • Hallo Andrea,


    wow, das sind ja wirklich tolle Neuigkeiten. Ihr Sohn hat sich nicht nur dazu entschieden, sein Sachkunderückstand aufzuarbeiten um eine schlechte Note zu vermeiden, sondern auch gleich eine neue Handlungsstrategie für die Zukunft entwickelt. Für ein Kind in der zweiten Klasse finde ich das eine beachtliche Leistung. Daumen hoch! Das ist natürlich ein wunderbarer Lerneffekt, wobei Sie ihm ruhig anfänglich weiterhin unterstützend zur Seite stehen dürfen, damit er sich besser in seine neue Arbeitsstrukturierung hineinfinden kann.


    Ich gebe Ihnen absolut recht, dass zum Schuljahresende immer einiges auf die Kinder einströmt. Ich erlebe dies in unseren Schulen auch gerade. Obwohl hier im Bundesland die Sommerferien relativ spät erst Ende Juli beginnen, ist der Endspurt schon in vollem Gange. Es werden schnell noch die letzten Klassenarbeiten geschrieben, Präsentationen und Referate verlangt, Heftnoten vergeben und der bis dahin noch nicht geschaffte Stoff zumindest thematisch angerissen. Dazu kommen zahlreiche Schulaktivitäten jenseits des Unterrichts: Die sportliche Vergleichswettbewerbe der Schulmannschaften, Projektwoche, Schulfest, Aufführungen von Theater und Musical AG, Besuch der Kinderoper, Fahrt in den Zoo - die Liste ist eigentlich unendlich. Das ist für Grundschüler ein hohes Pensum, das es zu bewältigen gilt. Umso wichtiger ist es, dass Ihr Sohn für die Zukunft eine neue Strategie entwickelt, wie er den ohnehin schon großen Schulstress der letzten Wochen nicht noch unnötig mehr belastet.


    Aber er scheint ein pfiffiges Kerlchen zu sein, so dass es ihm mit Ihrer Unterstützung gelingen sollte, anstehende Aufgaben besser einzuteilen.


    Viele Grüße
    Tanja

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