Geschwisterkurs

1. Geschwisterkurs: Definition und Zielgruppe

Ein Geschwisterkurs ist ein Schulungsangebot, welches sich ausdrücklich an Kinder richtet, die ein Geschwisterchen erwarten. Mit dieser Tatsache geht gerade bei den Kindern eine Reihe an Gefühlsregungen einher. Die überschwängliche Freude über den Familienzuwachs wird nicht selten begleitet von Eifersuchtsgefühlen gegenüber dem neuen Familienmitglied sowie Unsicherheiten bezüglich der eigenen Person und Familienposition. Diese oftmals sehr widersprüchlichen Gefühle verunsichern das Kind in unangemessenem Ausmaß und trüben so allzu schnell die Freude über die neue Situation. Nicht selten liegen hier bereits die Grundsteine für massive Geschwisterrivalitäten begründet.

 

Aber auch die Eltern sind oftmals überfordert mit den neuen Gegebenheiten. Sie freuen sich auf ihren Nachwuchs und vernachlässigen dabei oft unbewusst die Ängste, Sorgen und Nöte bereits vorhandener Kinder im Zusammenhang mit der anstehenden Geburt. Entsprechend sind Geschwisterkurse zwar ein Angebot, das sich an angehende Geschwisterkinder richtet, den tatsächlichen Nutzen für die baldigen Mehrfacheltern ist dennoch nicht zu leugnen.

 

Geschwister

 

Bezüglich der Alltagsstruktur der teilnehmenden Kinder setzen Geschwisterkurse keine Grenzen. Nichtsdestotrotz hat es sich in den letzten Jahren herauskristallisiert, dass zumeist Kinder ab drei Jahre bis ins späte Grundschulalter bevorzugt an einem Geschwisterkurs teilnehmen. Bei Interesse sind natürlich auch ältere Geschwisterkinder willkommen, ebenso wie unter Dreijährige teilnehmen dürfen, vorausgesetzt, sie sind von ihrem Entwicklungsstand in der Lage dem Kursgeschehen beizuwohnen und dieses auch zu verarbeiten.

 

2. Ziele von Geschwisterkursen

Geschwisterkurse haben stets ein übergeordnetes Ziel: Die Familie als solche zusammenwachsen zu lassen und damit allen Mitgliedern, den alten wie den neuen, einen reibungslosen Start in ihr gemeinsames Familienleben zu ermöglichen. Um diese höhere Zielsetzung zu erreichen, definieren Geschwisterkurse allerdings primär Nahziele, deren Erreichung das Bestreben der Kursinhalte ist:

 

  • die baldigen Geschwisterkinder werden mit dem Thema Schwangerschaft und den Abläufen in Mamas Bauch vertraut gemacht
  • positive Einstellung gegenüber Veränderungen entwickeln
  • Ängste und Unsicherheiten reduzieren und nehmen
  • Vorbeugung von Eifersucht und Neid
  • Wecken von Interesse am Geschwisterkind
  • Erläuterung der Bedürfnisse eines Babys
  • Entwicklung eines gesunden Verständnisses gegenüber dem Familienzuwachs
  • Festigung der eigenen Mutter-Kind-Beziehung
  • Stabilisierung der eigenen Position innerhalb der Familie, noch bevor das Baby zur Welt kommt
  • Stärkung der gesamten Familie

 

3. Zeitpunkt, Dauer und Häufigkeit von Geschwisterkursen

Geschwisterkurse sind freiwillige Angebote, deren Teilnahme niemals obligatorisch ist. Entsprechend sind die Familien frei darin, den für sie passenden Kurs zu wählen. Dabei sollten sie zwar die Bedürfnisse der gesamten Familie im Blick behalten, den Fokus aber auf Interessen und Erfordernisse des angehenden Geschwisterkindes richten.

Gleichzeitig unterliegen die Geschwisterkurse auch keinen übergeordneten Instanzen, die richtungsweisend agieren. Folglich darf die Ausgestaltung der Geschwisterkurse individuell von den ausführenden Institutionen definiert werden. Insgesamt haben sich jedoch diverse Kursmodalitäten bewährt:

 

Wieder-holungs-intervall

einmal je Schwangerschaft. Eine mehrmalige Teilnahme ist möglich und empfehlenswert, sollten Kursinhalte nicht gänzlich erfasst worden sein oder im weiteren Schwangerschaftsverlauf erneut Fragen oder Unsicherheiten auftreten

Buchung

möglichst frühzeitig nach dem Feststellen der Schwangerschaft

Beginn

im ersten oder zweiten Schwangerschaftsdrittel, bestenfalls ehe körperliche Veränderungen bei der Mutter oder räumliche Veränderungen im Zuhause überdeutlich werden

Ende

zwingend vor der Geburt. Empfohlen vor dem Ende des zweiten Schwangerschaftsdrittels.

Dauer

zirka eine Stunde je Kurstag

Zeitaspekt

Geschwisterkurse finden üblicherweise als einmalige Veranstaltungen zumeist am Wochenende statt. Mehrwöchige Kurse sind nicht vorgesehen und damit eher die Seltenheit. Sie werden in der Regel jeden Monat wiederholt.

 

Der Besuch eines Geschwisterkurses ist einmalig pro Schwangerschaft angeraten, wobei nach oben hin der Fantasie keine Grenzen gesetzt werden. So kann eine wiederholte Teilnahme sinnvoll sein, insofern sich im Schwangerschaftsverlauf weitere Fragen ergeben. Für die erste Teilnahme empfiehlt es sich, diese möglichst zu Beginn der Schwangerschaft zu terminieren, da auch die Entwicklungen von Embryo und Fetus sowie am und im mütterlichen Körper angesprochen werden. So können die Kinder die gesamte Schwangerschaft bewusst miterleben. Die Teilnahme ist zeitlich begrenzt und umfasst im Normalfall ein Treffen. Nach etwa einer Zeitstunde ist der Geschwisterkurs meist beendet, da die kleinen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht über einen längeren Zeitraum aufnahmefähig sind. Darüber zeitlich hinausgehende Schulungsangebote können schnell überfordern und dadurch zu einer Be- statt Entlastung werden. Eine Kursbuchung ist frühzeitig angeraten, damit auch sicher zum angemessenen Zeitpunkt ein Schulungsangebot erschließbar ist.

 

4. Aufbau und Inhalt des Geschwisterkurses

Bei den Geschwisterkursen gibt es hinsichtlich des Aufbaus drei gängige, wenngleich verschiedene Varianten:

 

4.1 Kinderkurse

Reine Kinderkurse sind Angebote, die sich ausschließlich an die baldigen Geschwisterkinder richten. Eltern wohnen diesen Kursen nicht bei. Dies soll dazu führen, dass die Kinder nach Schaffung einer positiven Beziehung zur Gruppenleitung ihre Ängste und Sorgen offen und ohne Hemmungen ansprechen. Im Beisein der Eltern ist dies oftmals nicht ungehindert möglich, da die Kinder ihre Eltern nicht belasten und diese mit der kritischen Einstellung gegenüber dem neuen Familienmitglied nicht enttäuschen möchten. Reine Kinderkurse sind jedoch eher etwas für ältere Kinder, die keine Probleme damit haben, für eine begrenzte Zeit ihre Eltern auch in einer ungewohnten Umgebung zu entbehren. Auch bei bereits festgestellten negativen Empfindungen gegenüber dem Ungeborenen kann diese Form des Geschwisterkurses angeraten sein. Allerdings sollte stets darauf geachtet werden, ob das Kind diese Form des Geschwisterkurses tatsächlich als Bereicherung und nicht als „Abschieben“ wahrnimmt. Im Falle von Eifersucht ist häufig ein Eltern-Kind-Kurs die bessere Variante.

 

4.2 Eltern-Kind-Kurse

Eltern-Kind-Geschwisterkurse sind Angebote, an denen die angehenden Geschwisterkinder gemeinsam mit ihren Eltern oder einem Elternteil teilnehmen. Vor allem für kleine Kinder ist diese Kursart die bessere Wahl. Außerdem schweißt ein solcher Geschwisterkurs die Familie nochmals zusammen und wirkt sich damit positiv auf den Familienzusammenhalt aus.

 

4.3 Kinderkurse mit Elternnachmittagen

Eine sehr interessante Mischform der Geschwisterkurse sind solche, die prinzipiell als reine Kinderkurse angeboten werden, dabei jedoch vereinzelte Familiennachmittage involvieren. Damit wechselt sich das gemeinsame Familienerlebnis mit Gesprächsmöglichkeiten ab. Auf diese Art werden alle Bedürfnisse des Geschwisterkinds gewürdigt, weshalb diese Form des Geschwisterkurses besonders zu empfehlen ist. Allerdings ist sie nur dann realisierbar, wenn es sich um ein mehrwöchiges Kursangebot handelt. Leider sind die diesbezüglichen Angebote äußerst begrenzt.

 

Unabhängig davon, wie die Geschwisterkurse in ihrem Aufbau konzipiert sind, greifen sie doch meist nachfolgende Themen auf:

 

  • Aufklärung über die Schwangerschaft und Geburt
  • Besuch des Kreissaals
  • Erklärung, was Babys alles können
  • Aufzeigen, was Babys mögen und brauchen
  • Entwicklung eines angemessenen Interesses am Geschwisterchen
  • der richtige Umgang mit dem Baby
  • Babyversorgung und Möglichkeiten der eigenen Übernahme von Aufgaben
  • Beantwortung von Kinderfragen
  • praktische Übungen an mitgebrachten Puppen oder Teddys beispielsweise zum baden, wickeln, an- und ausziehen, füttern oder kuscheln
  • gegebenenfalls basteln eines Begrüßungsgeschenks für das Geschwisterchen
  • eventuell Anmalen von Mamas Babybauch

 

Alle Kursinhalte werden den Kindern spielerisch vermittelt und sollen positiv an die neue Rolle als großes Geschwisterkind heranführen. Viele Kurse enden mit dem Verteilen einer Geschwisterurkunde, worauf die Kinder oftmals besonders stolz sind und mit welchem der Kursbesuch einen positiven Gesamteindruck hinterlässt.

 

Für die zukünftigen Eltern ist es während und nach einem Geschwisterkurs wichtig, Interesse an den vom Kind erlernten Inhalten zu zeigen und es nun aktiv in alle weiteren Vorgänge einzubeziehen.

 

5. Vorteile eines Geschwisterkurses

  • Geschwisterkurse werden von erfahrenen Personen geleitet, die zumeist um die Ängste, Sorgen, Nöte und Probleme einer Familie in dieser eigentlich schönen Zeit wissen
  • Geschwisterkurse schaffen eine Basis für eine gute und gesunde Geschwisterbeziehung
  • Angehende Geschwisterkinder können hier im geschützten Rahmen ihre neue Rolle kennenlernen und in diese hineinwachsen
  • Auftretende Kinderfragen finden ihre Beantwortung
  • Ängste können abgebaut und beseitigt werden
  • Geschwisterkurse werden häufig in kleinen Gruppen von etwa vier Kindern durchgeführt, was viel Raum für Individualität lässt
  • Geschwisterkurse stärken die Eltern-Kind-Beziehungen und damit die gesamten Familienstrukturen

 

6. Nachteile eines Geschwisterkurses

  • Geschwisterkurse werden alters- und interessensunabhängig durchgeführt
  • Die Konzeption mit nur einem Termin reicht häufig nicht aus, um alle Fragen und Interessensbereiche der teilnehmenden Kinder aufzugreifen
  • Die Mütter der teilnehmenden Kinder befinden sich in differenten Schwangerschaftswochen, woraus unterschiedliche aktuelle Geschwistersituationen resultieren
  • Die Teilnehmeranzahl ist frei definierbar, weshalb nicht selten zu viele Kinder anwesend sind
  • Manche Themen des Geschwisterkurses, wie beispielsweise Eifersucht oder Mithilfe, müssten nach der Geburt angesprochen werden
  • Die individuellen Familiensituationen können im Geschwisterkurs nicht berücksichtigt werden

 

7. Anbieter von Geschwisterkursen

Im Grunde genommen kann eigentlich jeder einen Geschwisterkurs anbieten und durchführen, der sich in dieser Thematik auskennt. Denn derartige Kurse unterliegen keiner übergeordneten Instanz, die eine weisende oder überwachende Funktion hinsichtlich Aufbau, Inhalt und Qualifikationserfordernisse einnehmen könnte. Folglich sind Geschwisterkurse an diversen Standorten zu finden:

 

  • in Elternschulen, die zumeist Geburtskliniken angegliedert sind
  • in den Geburtskliniken selbst, insofern keine Elternschule betrieben wird
  • bei freiberuflichen Kinder- und Säuglingskrankenschwestern
  • in Hebammenpraxen oder von freien Hebammen
  • in Eltern- und Familienbildungszentren
  • in sozialen Institutionen, die inhaltlich Familienberatung anbieten
  • in Vereinen, die explizit Angebote für Kinder unterhalten wie zum Beispiel PEKiP, Spielkreis oder Eltern-Kind-Turnen, dann häufig von Erzieherinnen durchgeführt

 

Den Eltern steht es grundsätzlich frei, wo sie sich nach einem Geschwisterkurs umsehen und welchen sie letztendlich belegen. Prinzipiell sollten sie jedoch großen Wert auf nachweisbare Qualifikationen der Kursleitung legen.

 

8. Der Kostenfaktor

Die Teilnahme an einem Geschwisterkurs ist stets freiwillig. Weder im pädagogischen noch psychologischen oder medizinischen Sinne wird bei einem Geschwisterkurs von einer präventiven und notwendigen Maßnahme gesprochen, wenngleich der Nutzen des Geschwisterkurses in diesem Kontext keineswegs zu leugnen ist. Aus diesen Fakten resultiert die Tatsache, dass Geschwisterkurse unter keinen Umständen der Kostenübernahme durch einen Dritten unterliegen. Anfallende Auslagen müssen also stets selbst getragen werden. Auch ein Kostenzuschuss durch die Krankenkasse ist nicht vorgesehen. Selbstverständlich kann eine individuelle Nachfrage erfolgen, wird jedoch kaum zum gewünschten Ergebnis führen.

 

Aus diesem Grund sind die anfallenden Kosten für einen Geschwisterkurs selbst zu tragen. Ihre Höhe ist durch die durchführenden Institutionen individuell definierbar und hängt davon ab, wie der Kurs aufgebaut ist. So gibt es preisliche Unterschieden dahingehend, ob es sich um reine Kinderkurse, Eltern-Kind-Kurse oder Kinderkurse mit Elternnachmittag handelt. Auf einen Tag begrenzte Geschwisterkurse schlagen mit 5 bis 20 Euro zu Buche. Mehrwöchige Kurse sind hingegen erheblich teurer und kosten durchschnittlich 40 Euro.

 

Es lohnt sich jedoch immer, Ausschau nach Geschwisterkursen zu halten, die kostenfrei angeboten werden. Diese können über soziale Institutionen der Familienbildung oder vergleichbare kirchliche Einrichtungen erschlossen werden. Angebote von Vereinen dürfen ebenfalls kostenfrei in Anspruch genommen werden, insofern man dort Mitglied ist. Nicht zuletzt macht es Sinn auch im örtlichen Kindergarten den vorhandenen Bedarf anzukündigen.

 

9. Alternativen zum Geschwisterkurs

Eine echte Alternative zum Geschwisterkurs gibt es nicht. Denn dieser ist das einzige Angebot, das sich mit dem Thema Schwangerschaft und Geburt ausschließlich an das zukünftige Geschwisterkind richtet. Das sollten Eltern zwingend wissen, ehe sie sich für oder gegen einen Geschwisterkurs entscheiden. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, das Kind eigenständig auf das anstehende Ereignis vorzubereiten, dann jedoch sollte man diverse Aspekte beachten:

 

  • Nutzung von Bilderbüchern, die sich mit dem Thema „Geschwister werden“ befassen
  • eventuell Teilnahme an einem thematisch passenden Vortrag
  • Involvierung aller Bezugspersonen, also auch Erzieherinnen, Lehrer, Großeltern und Freunde

 

Auf diese Art lässt sich eine Vorbereitung des Kindes auf seine baldige Geschwisterposition sicher realisieren. Dennoch bleibt der Geschwisterkurs der einzige Rahmen professioneller Geschwistervorbereitung zur Stärkung des Familiensystems.